von Klaus Schedler
Ein Sonntag gegen Ende April 1976. Als Student wohnte ich in Wien-Neubau zur Untermiete und hatte mit einem befreundeten Kollegen im Schweizerheim ausgemacht, die Versuchsanordnung und das Auswertungsverfahren für ein gemeinsames Praktikumsprojekt auszuarbeiten. Schon als ich das Fenster zum morgendlichen Lüften aufmachte, hatte ich die lauwarme Frühlingsluft gespürt. Zum ersten Mal in diesem Jahr würde ich ohne Jacke rausgehen können.
Offensichtlich hatte die junge Frau ganz genauso empfunden. Sie kam mir in der Neustiftgasse entgegen und trug ein Sommerkleid. Nichts Auffallendes aber mir erschien es recht geschmackvoll und ihr Gang strahlte schon aus der Entfernung eine gewisse Anmut aus. Noch lagen etwa 100 Meter zwischen uns, als ich ein leises „Tatü-Tata“ hörte. Anscheinend war soeben ein Einsatzfahrzeug von der sog. „2er Linie“ in die Neustiftgasse eingebogen und da sah ich schon weit hinten das Feuerwehrauto, wie es mit Blaulicht entgegenkam. Die Gasse ist eine schnurgerade Einbahnstraße, weil Sonntag war gab es so gut wie keinen Verkehr und anscheinend waren alle Ampeln grün: Kein Grund also, das Folgetonhorn einzuschalten.
Dann aber sah der Fahrer offensichtlich die junge Frau und weil sie ihm vermutlich genauso wie mir gefiel, betätigte er das Horn: „TATÜÜÜ-TATAAA – TATÜÜÜ-TATAAA – TATÜÜÜ-TATAAA“. Damit nicht genug waren zu unserer Gehsteigsteigseite am Fahrzeug alle Seitenfenster geöffnet. Mindestens 4 Männerarme winkten ausgelassen der jungen Frau zu und es wurde Hallo gerufen oder gepfiffen. Heutzutage würde das wohl als unverzeihlicher Fauxpas gelten, doch damals eben noch nicht.
Die junge Frau zuckte bei dem ohrenbetäubenden Lärm nicht einmal zusammen, sondern ignorierte mit bewundernswerter Gelassenheit den gesamten an ihr vorbeibrausenden Wirbel. Mit einem weiteren „Tatü-Tata“ überquerte das Feuerwehrauto schon weit hinter uns soeben die Kaiserstraße und eilte seinem Einsatzort entgegen. Fast auf gleicher Höhe mit der Frau sagte ich lachend zu ihr „Hallo, also ich fand das lustig“. Sie blickte mich im Vorübergehen kurz an, sagte nichts, jedoch hat sie leicht gelächelt.“ Und ja, mit diesem Lächeln war sie sogar noch schöner geworden.
© Klaus Schedler 2019-07-20