Filmriss im Kepler-Kino

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

In meiner Jugend war ich sehr oft im Kino. Als Kind der 1970´er-Jahre erlebte ich schöne Nachmittage und Abende im Kreuz-Kino, im Panorama-Center und im Flotten-Center. Alles Wiener Kinos, die es heute nicht mehr gibt. Das Kinosterben hat viele Kinos zu Grabe getragen. Nunmehr sind Traditionskinos in der Kinolandschaft nicht mehr stark vertreten. Hervorzuheben sind das Urania- und das Gartenbaukino.

Es gab auch mal ein feines, kleines Kino in Favoriten, nämlich das Kepler-Kino. Dort hatte ich als junger Mann stets das Gefühl, in eine eigene Welt einzutreten. Das Kino hatte eine besondere Atmosphäre, die wohl dem fast schon intimen Charakter geschuldet war. Und mit diesem Kino verbindet mich eine unvergessliche Begebenheit.

Es muss 1990 gewesen sein. Ich ging in eine Abendschule und war bemüht, meine Französisch-Kenntnisse durch die Lektüre von Asterix-Comics im Original zu verbessern. Zudem schaute ich mir gelegentlich französische Filme im De France – Kino an. Ein einziges Mal verschlug es mich für die Sichtung eines Films in französischer Originalfassung ins Kepler-Kino. Gespielt wurde „Les Fugitifs” (“Die Flüchtigen”). Eine Komödie mit Pierre Richard und Gerard Depardieu in den Hauptrollen. Ich kannte bereits die deutsch synchronisierte Fassung und war gespannt, wie ich mit der Originalfassung zurechtkommen mochte.

An diesem Nachmittag bemerkte ich, dass sich der Zuschauerandrang in Grenzen hielt. Genau genommen fragte ich die Dame an der Kasse, ob der Film gespielt werden würde. Und im Kino-Saal stellte ich fest, dass ich tatsächlich völlig allein da saß. Ich platzierte mich in der letzten Reihe, und nach nur wenigen Minuten Werbung begann der Film. Ich war überrascht, nicht nur der Handlung, sondern auch den Dialogen relativ gut folgen zu können. Aber plötzlich brach der Film ab. Filmriss!

Der Film würde noch eine gute halbe Stunde dauern. Und da geschah das Erstaunliche: Der Filmvorführer meldete sich und fragte mich mit gedämpfter Stimme, ob ich den Film zu Ende sehen wolle. Ich sagte so laut ich konnte: “Ja!”, und stand auch auf, um hinter mich zu blicken. Dort stand gut durch ein Fenster auszumachen der Filmvorführer. Wenige Minuten später ging es dann weiter und es kam zu keiner weiteren Störung.

An diesem Tag war ich zum ersten und bislang letzten Mal in meinem Leben einziger Besucher der Vorstellung eines Kinofilms. Und es war auch zum ersten und bislang letzten Mal in meiner Gegenwart, dass ein Film während der Vorführung riß. Dem Team des Kepler-Kinos bin ich dafür dankbar, dass ich nach dem Motto “Der Kunde ist König” behandelt worden war. Und ich habe es sehr bedauert, als das Kepler-Kino 2012 seine Pforten für immer schloss. Diese Episode ist eine Reminiszenz an die zahlreichen alten Wiener Traditionskinos, die nicht mehr existieren. Und, ja, es spielt etwas Nostalgie mit. “Die Flüchtigen” zählt bis heute zu meinen Lieblingskomödien.

© Jürgen Heimlich 2019-09-25

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