von MISERANDVS
Als ich am Schalter in der Apotheke stehe, vermutlich in der letzten, in denen sie meinen Ansprüchen an Freundlichkeit und Zuvorkommen gerecht werden und mich noch nicht verärgert haben, schaue ich auf die Finger der Mamsell mit der Maske. Ich hab ja schon einges an Fingernagel-„Kunst“ gesehen. Lange Krallen aus Gel, Klauen mit Glitzer dran. Fänge mit einem Loch drin, in dem ein Ringlein schlenkerte. Und die Marotte, die ich so überhaupt nicht verstehen will: Fingernägel in uni, und einer in einer anderen Farbe. Ist das eine Botschaft. Ein … Geheimzeichen unter Frauen. Sowas wie “Tötet alle Männer!” Was soll das? Macht mich fertig, dass ich da nicht dahinterkomme. Zurück zum Thema. Die Mamsell hat einen ganz neuen Style. Die Nägel sind weiß lackiert, nur vorn an der Spitze haben sie eine Art French Nailing – Heißt das so? – , in Blurot, und das Rote läuft zu einem spitzen Dreieck zusammen. Sieht aus, als hätte sie grade mit blanken Fingern wütend eine Kuh entbeint… “Wie bitte?”, sag ich, als sie mich mit ihrer Frage aus meinen Gedanken reißt: “Stimmt was nicht mit meinen Fingern?” Sie hat wohl bemerkt, dass ich ungeniert starre. Und ich schaue wieder hin, und es gruselt mich ein wenig, und ich denke “Nein, alles bestens!”, aber ich sage laut: “Gott, wie gruselig!” Verdammt! Blödmann! Andersrum! Das Gesagte gehört gedacht! “Wie bitte?”, fragt sie, leicht pikiert. Und ich entschuldige mich sogleich: “Oh weh, Verzeihung! Das geht mich wirklich nichts an.” Sie stutzt, hebt die Hände vor die Augen, schaut sie ihre Nägel an, sieht zu mir und fragt, ein wenig traurig: “Gruselig? Wirklich?” Ich presse die Lippen geniert hinter meiner Maske zusammen, zucke mit den Schultern, nicke. Was soll ich machen? Gesagt ist gesagt. Ich entschuldige mich nochmal und versichere, dass mir die Nägel ja nicht gefallen müssten, und Geschmäcker sind wie Ohrfeigen: Verschieden. Gott, wie peinlich! Und wie … gruselig! Mir läuft – ohne Witz – eine Schauder über den Buckel.
Ich bin ein schlichter Mensch. Für Mode und Style habe ich keinen Sinn. Mir gefällt das Natürliche. Frisch gewaschene Haare, ein geduschter Leib, geputzte Schuhe, saubere Zähne, Hosen ohne Löcher drin. Und Fingernägel müssen bei mir nur eines sein: Sauber. Die Zellen haben sich schon was dabei gedacht, wie sie sich aneinanderpappten und einen Körper formten, so, wie er ist. So ist er gut. So ist er schön. So ist er perfekt. Natürlich. Schlicht. Ohne Klimper-Pimper und Kriegsbemalung dran. Da bin ich glücklich, denke: “Wie schön du bist!”
Als ich bezahle und mich noch einmal für meine unverschämte Plumpheit entschuldige, lacht sie. Ich seh‘ es an den Augenfältchen. Sie kneift die Augen amüsiert zusammen: “Ist schon gut.” Ich grüße, gehe, da hör ich sie meinen Namen rufen. Ich dreh mich um, sie legt die Finger an die Plexi-Scheibe und klappert mit den Rindvieh-Mörder-Krallen dran. Es schüttelt mich am ganzen Leib, und sie lacht schallend los. Das hab ich mir verdient! Respekt, Mamsell! Chapeau!
© MISERANDVS 2021-09-08