von Celine Alessia
Einen Geist hatte ich nicht gesehen, aber weiss wie die Wand musste ich trotzdem aussehen. Nach dem ersten Schock hatte ich mich zurück in mein Zimmer verkrochen und dort erst mal den Heulanfall meines Lebens abgehalten. Ein Stück weit war es befreiend, trotzdem fühlte ich mich ausgelaugt und meine Schultasche war heute noch schwerer als sonst . Trotz meiner Morgenaktion war ich überpünktlich dran, was mir die Möglichkeit gab, noch an einem ganz besonderen Ort vorbeizugehen. Viele behaupteten, Friedhöfe wären gruselig, und auch wenn ich dem bis zu einem gewissen Punkt zustimmte, war es mein Lieblings-Zufluchtsort. Also bog ich in den schmalen Weg ein, weg von der Strasse und öffnete das eiserne Tor. Den ganzen Weg könnte ich im Schlaf gehen und jede Ecke, jedes kleine Gras und jeder steinerne Grabstein hatte sich in mein Hirn gebrannt. Mein Hirn schien heute allerdings nicht richtig zu funktionieren, als wäre es hoch zu den Wolken geflogen und durch Watte ersetzt worden. Das Medaillon hing mir sehr bewusst um den Hals und lenkte somit jegliche Gedanken auf sich. Ich trug es mit Stolz, und obwohl ich ein leichtes Stechen in der Brust spürte, war es das schönste Geschenk, das ich je bekommen hatte. Endlich blieb ich vor dem Grab meines Opas stehen. Meine Schultasche landete unvorsichtig im Gras und auch ich selbst liess mich auf die grüne Wiese fallen. In meiner Jackentasche griff ich nach der schwarzen Schachtel, klappte diese auf und begann ungefiltert meine Gedanken auszusprechen. „Hey Opa, danke vielmal für das Medaillon, es ist wunderschön! Keine Ahnung, weshalb du wolltest, dass ich es erst jetzt bekomme, aber ich verspreche dir, ich passe mit meinem Leben darauf auf.“ Langsam zupfte ich an einer weissen Ecke, welche unter dem Boden hervorblitzte. Dass in die Box ein zweiter Boden eingearbeitet worden war, konnte ich immer noch nicht fassen. Es war ein typischer Opa-Move, um dem Mystischen eine noch stärkere Bedeutung zu geben. Der kleine Brief, welcher darunter zum Vorschein kam, war ordentlich zusammengefaltet worden und enthielt in einer wiederum unordentlichen Schrift die Worte: «Happy Birthday, mein grosses Mädchen. Auf deinen 15. Geburtstag etwas ganz Besonderes für ein noch besondereres Mädchen!» Schniefend wischte ich mir über das Gesicht, um die potenziellen Tränen zurückzuhalten. Ich hatte mir nach heute Morgen fest vorgenommen, nicht zu heulen, und das würde ich einhalten. Reflexartig strich ich über die Gravierung meiner neuen Kette. Moment, beim genauen Hinschauen auf den Stein vor mir fiel mir auf, dass es dasselbe Motiv wie meine Kette hatte. Schräg, dass es mir erst jetzt aufgefallen war, obwohl ich das Bild längst verinnerlicht hatte. Und wenn ich den Stein mal genau anstarrte, fiel mir auch auf, dass das Oval um die Einhörner ein kleines bisschen aus dem restlichen Stein stand. Also, was wenn ich einfach…von meiner Neugier getrieben, wanderten meine Fingerspitzen auf den Grabstein zu. Er fühlte sich kalt an und mit ein bisschen Mut drückte ich kräftig darauf. Keine Ahnung, welche Vermutung mich dazu geritten hatte, aber ich lag genau richtig. Die Hörner der Einhörner verfärbten sich hellblau und da sollte noch jemand behaupten, Magie gäbe es nicht! Mein Medaillon bewegte sich wie ein Magnet in Richtung des Leuchtens und kaum berührte der Anhänger den Stein, leuchtete das Blau noch stärker auf, ein Schrei war zu hören und danach verdunkelte sich alles um mich herum.
© Celine Alessia 2025-05-20