von Maggie Krähling
Der Regen war stärker geworden. Beim Aussteigen zog ich mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf und ging am Straßenrand weiter. Ich kam an Einfamilienhäusern vorbei mit ihren damals schönen kleinen Vorgärten. Doch davon war nicht viel übrig geblieben. Die Häuser hatten kaum noch Glas in den Fenstern, viele Türen waren aufgebrochen und man konnte in geplünderte Flure und Wohnzimmer schauen. Die meisten Familien sind geflüchtet. Viele hatten versucht in den Großbunkern Unterschlupf zu finden, einige hatten das auch geschafft. Wir hatten es damals auch versucht. Somit waren wir wenigstens weit genug entfernt als die ersten Bomben fielen. Trotzdem haben die uns die Türen vor der Nase verschlossen. Wir sahen die Stadt in sich zusammen fallen, Sekunde für Sekunde sahen wir, wie unser Leben unter Trümmern begraben wurde. Als ich heute am vorletzten Haus stehen geblieben bin, um dem Nachbarn und seinem Hund ein Stück Trockenfleisch zu geben, wurde ich nicht von dem Grauen Rüden begrüßt. Hinter dem etwa Hüfthohen Zaun sah ich nur die leere Hütte mit der auf dem Boden liegenden Leine. Ich schaute mich um und pfiff nach ihm, doch stattdessen kam der Besitzer raus.
„Hallo Ethan. Du suchst wahrscheinlich nach dem alten Rüden.“ Sagte der Nachbar und kam dabei langsam an den Zaun. „Tut mir leid aber ich vermute, irgendeine Bande hat sich ihn geholt. Müssen heute Nacht über den Zaun geklettert sein und ihn mitgenommen haben. Ich hoffe nur, dass er nicht leiden musste.“ Als er das sagte, schaute er mit getrübten Augen in die Weite. Ich verstand seine Sorge. Die Banden kamen immer öfters aus der Stadt in die Außenbezirke. Dabei zerstörten die noch das, was übrig geblieben war und nahmen uns noch die letzten Sachen. Brutal und ohne Gnade.
„Seit den neuen Vorschriften in der Stadt, scheinen die Banden immer öfters hier hinauszukommen. Schade um den Rüden. Er war eine gute Gesellschaft.“ Dann griff ich in meine Tasche und gab dem Alten das Trockenfleisch. Er nickte dankend und ging wortlos wieder rein. Ich ging weiter nach Hause, der Regen hatte etwas nachgelassen und von weiten konnte ich das schwache Licht aus unserem Haus sehen. Sie schien in der Küche zu sein, denn dort sah ich einen Schatten hin und her laufen. Ich ging die drei Stufen hoch zur Haustür und schloss sie auf. Kaum hatte ich sie einen Spalt geöffnet, kam mir ein leichter Duft von frisch gebackenen Teig entgegen. Ich zog meine alten Schuhe aus und ging leise durch den dunklen Flur. Man konnte nur erahnen welche Fotos im Flur hingen. Eigentlich war es auch egal, denn diese Bilder erzählten von einer schöneren Zeit. Eine Zeit, die längst vergangen war. Ich folgte dem süßen Duft in die Küche und sah sie am Herd stehen, leise vor sich hin summend. An den Türrahmen angelehnt beobachtete ich sie. Ihr kupferbraunes Haar war in einem leichten Zopf zusammen gebunden. Trotz der Hitze, die vom Herd kam, hatte sie die dicke schwarze Wolljacke an. Wahrscheinlich hat sie den ganzen Tag die Heizung aus gelassen um Gas zu sparen. Schon vor dem Krieg hat sie ständig gefroren. Immer lief sie mit dicken Socken durch das Haus und man sah sie nie ohne eine Decke über der Schulter auf dem Sofa sitzen. Damals hatte ich das immer belächelt, jetzt war ich froh, wenn wir uns gegenseitig unter den Decken wärmen können.
© Maggie Krähling 2025-05-13