Zwei riesig große Augen sehen mich durchdringend an. Sekunden vorher bist du aus mir herausgeplumpst, Körperteil für Körperteil. Fohlenartig. Wobei geplumpst der falsche Ausdruck ist. Es war ein Prozess von ziemlich genau 24 Stunden, vom Blasensprung bis jetzt. Eine Zeitspanne, die mich, dich und vermutlich auch meinen Mann an seine Grenzen gehen ließ.
Im Hintergrund läuft unsere bedacht ausgewählte Playlist. „Ich kann mich nicht erinnern, dass das schon einmal jemand gemacht hat“, sagt der Assistenzarzt. Wir diskutieren über Interpreten, lachen, mein Mann und ich singen stellenweise mit. All das passiert etwas betäubt vom peridualanästhesischen Eingriff, kurz Kreuzstich, der einige Stunden zuvor über die Bühne ging.
Und dann muss es sein. Mit Saugglocke und sanft ausgeübter Manneskraft auf meinen Bauch wirst du gezwungen, den Mutterkuchen – zumindest kurzfristig – zurückzulassen. Meine dunkle Bauchhöhle gegen den hellen Kreißsaal einzutauschen. Ganz dürfte dir dieser Plan nicht in den Kram gepasst haben. Doch du bist da. So da. Ich spüre meine Beine (noch) nicht, aber ich spüre dich. Bei mir. Du bist winzig. Wir sind glücklich.
Was in den nächsten Monaten und Jahren folgt, ist noch schwieriger in Worte zu fassen. Du schreist. Mehr als ein Durchschnittsbaby und genug, um in Büchern eine Definition dafür zu finden. Schreien oder Unruhe mehr als drei Stunden am Tag, mehr als drei Tage die Woche, mehr als drei Wochen lange. Das übererfüllst du. Dazwischen liegen unzählige schöne Momente.
Einfach ging bei uns wenig. Da wäre zum Beispiel: Stillen nur mit Stillhütchen. Ich erinnere mich an barbusiges Herumlaufen mit Topfen auf den Brüsten. Fettige Cremen gegen die schmerzenden Brustwarzen. Und dann irgendwann ging es auf einmal. Hütchen weg, ganz natürliches Andocken. Ein unglaublicher Befreiungsschlag, den ich bis zu deinem ersten Geburtstag auskostete. Auch das Schreien verebbte nach etwa vier langen Monaten, hunderten Tragestunden der gesamten Familie und vielen gesummten und gesungenen “Es wird scho glei dumpa“s. Unsere Eingewöhnungszeit in der Kinderkrippe dauerte ein Jahr. Oder nein, ich würde sagen, wir stecken noch immer mittendrin.
Heute, zweieinhalb Jahre später, löffelst du Suppe neben mir und stellst Fragen, wie “Mama, was machen wir heute?”. Deine großen Augen blicken mich dabei nach wie vor eindringlich an. Oder du sagst Sätze wie “Der Stern ist weg, er hat Platz gemacht für das Morgenrot“.
Ich kämpfe täglich mit Zweifeln und Ungeduld. Aber was zählt, ist die Waage der Gefühle. Und hier drückt die unendliche Liebe und Dankbarkeit die Schale gewaltig nach unten.
© Verena Schneeweiß 2023-01-17