von Annika Herda
Fear Of Missing Out; die Angst etwas zu verpassen.
„Ist schon Freitag?“ – Meine Kollegin kichert. Ich klinge wie ein gelangweiltes Kind. Vor allem, weil erst Montag, 09.08 Uhr ist. Das Wochenende steckt mir noch in den Knochen. Ich schäme mich ein wenig für mein hemmungsloses Flirten am Samstagabend und vor lauter Verpeiltheit, habe ich Kaffeebohnen in den Wassertank gekippt. Ich fühle mich ein wenig „lost“. Ja, ich bin late for the party mit dem Begriff, aber das Jugendwort von 2020 beschreibt meinen Gemütszustand sehr treffend.
Kürzlich wurde ich gefragt, ob ich Angst vor den Wochenenden hätte. Ich habe abfällig gelacht, als wäre alleine die Frage ein Widerspruch in sich und dann beschämt den Blick gesenkt. Shit, voll erwischt. Ich fühlte mich auf diese unangenehme Weise ertappt, wenn jemand etwas laut ausspricht, dass man bisher erfolgreich vor sich selbst verheimlicht hat. Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die Brust wurde mir eng und meine spröden Nägel gruben sich in meine Handballen.
Meine Tage könnten gut und gerne noch ein, zwei Stunden mehr haben. Ich hinke ständig hinterher und scheine nie fertig zu werden. 40 Stunden-Job, Halbmarathon-Vorbereitung, Abendschule, familiäre Verpflichtungen, Katzen versorgen, lernen, Freundschaften pflegen, Tanztraining, der Haushalt und zwischendurch hat mein Körper die lästige Angewohnheit Schlaf zu verlangen. Wie ist es möglich, dass es Menschen (zusätzlich) hinbekommen, ein Baby am Leben zu halten? Unabhängig davon, dass ich mental noch meilenweit vom Abenteuer “Elternschaft” entfernt bin, scheitert es schon an den zeitlichen Ressourcen überhaupt ein Baby zu machen – schade, ein wenig körperliche Zuwendung wäre bestimmt ein guter Ausgleich für meinen Alltags-Wahnsinn.
Es gab Zeiten, da waren meine Tage grau in grau. Das Wochenende herbei sehnend, darauf hoffend, dass mein Leben endlich anfangen würde. Spoiler Alarm: tat es natürlich nie. Sonntags war ich dann niedergeschlagen, wieder nichts erlebt zu haben.
Jetzt ist es anders. Das Leben rast nur so dahin und wenn der Freitag näher rückt, werde ich unlocker. Ich bräuchte Pause um wieder aufladen zu können. Allerdings wage ich es nicht, nichts zu tun. Ich könnte ja etwas richtig Tolles verpassen. Was, wenn es das letzte warme Wochenende vor dem Herbst ist? Vielleicht komme ich nächstes Jahr nicht dazu auf das alljährliche Fest zu gehen? Möglicherweise begegne ich in der Bar zufällig der Liebe meines Lebens? Außerdem könnten sich meine Gedanken leidigen Themen widmen, wenn ich mir Zeit für mich nehme. Besser nicht.
Habe ich das Dating vorerst aufgegeben, suche ich jetzt andere Strategien. Mein Leben ähnelt dabei aber einer Filmsuche auf Netflix. Die unbegrenzten Möglichkeiten frustrieren, weil die Auswahl zu groß ist. Ich habe Angst, falsche Entscheidungen zu treffen. Ich vermisse ein wenig die Zeiten, in denen einem das TV-Programm einfach vorgesetzt wurde und man sich stupide berieseln lassen konnte.
© Annika Herda 2022-09-19