Forschen statt grübeln

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Ich lese, dass man sich in Zeiten der Isolation davor hüten soll, ins Grübeln zu verfallen. Quälende Gedanken seien kontraproduktiv. Das stimmt. Ich lese, es gäbe Dinge, die helfen: sich aufs Atmen konzentrieren, meditieren, den Fokus nach außen verlegen und intensiver wahrnehmen, was rundherum um mich passiert, die eigenen Gedanken aus der Distanz beobachten, in die Natur gehen oder sich ablenken.

Aber das, was ich mach, findet sich nicht in der Liste. Ich stolpere über Wörter und verfolge die Kette von Assoziationen und komm dann schließlich ganz woanders hin. Es ist immer eine Reise ins Ungewisse.

Ein Exempel: Nehmen wir das Verb “grübeln”, das sich zu „Grube“ stellen lässt. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Wer grübelt, schaufelt sich das eigene Grab. Grübler sind emsige Wiederholungstäter.

Jetzt stehen wir gedanklich am Scheideweg. Wir könnten uns jetzt mental auf den Friedhof begeben, uns auch vornehmen, am nächsten Tag das Grab verstorbener Vorfahren aufzusuchen oder in diesem Augenblick ihrer zu gedenken. Wir könnten eine Kerze anzünden.

Wir könnten aber auch in den Garten gehen und uns dem Hochbeet widmen und Salatpflanzen setzen. Gärtnern und das Herumgraben in der Erde zwingt die Menschen ins Hier und Jetzt. Da geht es ums Wachsen. Um Veränderung. Und wir lassen vor unserem geistigen Auge eine wunderbare Landschaft entstehen, sie ist rosa wie die japanische Kirschblüte, lila wie der Flieder. Und sie duftet.

“Grübeln” heißt im Italienischen ruminare, im Englischen to ruminate, aus lateinisch rūmināre „wiederkäuen und grübeln“. Hoho! Jetzt sind wir auf der Kuhweide gelandet.

Rūmināre wiederum ist eine Ableitung von rūmen (Nebenform rūmis) “Kehle, Schlund, Zitze, säugende Brust”. Für die weitere Forschungsreise reicht der Stowasser nicht mehr aus. Ich fahre den Laptop hoch und entdecke nach ein paar Klicks, dass die römische Göttin Rumina die Göttin der Muttermilch war und im antiken Rom dafür sorgte, dass alle stillenden Mütter genügend Milch für ihre Babys hatten. Rumina gilt auch als Beschützerin aller in der Geburtshilfe und Krankenpflege Tätigen. Und genau das brauchen wir in diesen Zeiten.

© Sonja M. Winkler 2020-04-18

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