von Benjamin Lenz
Mit Wäscheklammern befestigte er die feuchten Papiere in der Dunkelkammer auf einer Leine. Als er fertig war, trat er einen Schritt zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Er verstaute Pinzette und die Flasche mit der Entwicklerflüssigkeit sorgfältig und betrachtete geduldig die leeren Bilder, die sich langsam füllten. Sie alle zeigten das gleiche Motiv und doch war jedes von ihnen einzigartig. Er würde sie niemandem zeigen und doch waren sie es wert. Diese Schönheit musste festgehalten werden. Man sagte, man könne so die Seelen der Abgelichteten speichern. Tatsächlich zeigten diese Bilder aber nur den Tod. Bereits in dem Augenblick nach dem Blitz war das Bild Vergangenheit, unwiderruflich fort und nur noch eine auf eine Polymerschicht gebannte Erinnerung.
Sie wusste nichts davon, dass er sie fotografierte. Sie wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass er existierte. Und wenn, dann würde sie sich zieren, ihn einen Freak nennen oder einen Stalker, aber er war keiner dieser Verbrecher. Vielleicht würde sie die Bilder vernichten, wenn sie ihr in die Hände fielen, aber er hoffte, dass sie sie aufbewahren würde. Sie mussten fortbestehen, ihn und sie überleben.
Auf dem Papier vor ihm zeichnete sich bereits der Umriss ihres Körpers ab. Dieser Augenblick, dieser Moment wurde vor seinen Augen zum Gegenstand. Er konnte ihn besitzen. Er gehörte ihm. Er schaute gebannt, wie sich immer mehr von ihr offenbarte. Auch wenn er sie nicht besitzen konnte, bald würde er ihr Abbild allein in seinen Händen finden. Niemand würde ihm das nehmen können. Er wusste, wie sich dieser Körper anfühlte, und weil dies vergänglich war, bräuchte er zumindest eine visuelle Erinnerung. Langsam konnte er auch die Mund- und Augenpartie in ihrem Gesicht erkennen. Dieser Blick, dieses Lächeln galt nur ihm allein.
© Benjamin Lenz 2023-07-11