„Warum lässt du dir Schmetterlinge tätowieren?“, werde ich manchmal gefragt. „Weil sie schön sind.“, antworte ich dann.
Schon als Kind habe ich Schmetterlinge bewundert. Wie ist es möglich, dass sich eine unscheinbare, kleine Raupe in so ein schönes Tier verwandelt? Gerne beobachtete ich, wie sie im Garten unseres Hauses herumflogen! Die wunderschönen, zarten Flügel, die hübschen Farben und Muster. Eines Tages schaffte ich es, einen Schmetterling einzufangen. Mit beiden Händen bildete ich eine Höhle, worin das Tier gefangen war. Als ich die Hände vorsichtig öffnete, saß er auf meiner Hand. Seine kleinen Beinchen kitzelten auf meiner Handfläche. Als ich die Hände ganz öffnete, erwartete ich, dass der Schmetterling davon fliegen würde, aber er blieb sitzen. Da sah ich, dass ein Flügel verletzt war. Er klebte auf meinem Handballen. Ich hatte ihn verletzt. Ich setzte ihn in einer offenen Schuhschachtel ab und hoffte, er würde sich erholen und später wegfliegen. Kurze Zeit später lag er tot im Schuhkarton. Ich war tieftraurig. Niemals wieder habe ich versucht, diese Tiere zu berühren, aus Angst, sie zu verletzen.
Auch heute noch liebe ich es, Schmetterlinge zu beobachten. Sie sind wunderschön anzusehen. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ein Schmetterling meinen Weg kreuzt. Ich schaue zu, wie er fröhlich herumflattert. Es scheint, als würden diese Tiere in der Luft tanzen. Ich liebe es, wenn sie sich kurz irgendwo niederlassen. Wenn sie da sitzen, bewegen sich die Flügel ganz langsam und sachte auf und ab. Und nach kurzer Rast flattern sie wieder weiter. Sie scheinen so lebensfroh. Und manchmal sind sie auch mutig. Ab und an lässt sich ein solches Tierchen auf mir nieder. Die kleinen Beinchen kitzeln auf meiner Haut und ich beobachte mit angehaltenem Atem, wie sich die Flügel langsam und sachte auf und ab bewegen. Welch eine Ehre, dass ich als Landeplatz ausgewählt wurde! Manchmal nur für wenige Sekunden erfüllt mich jede Landung eines Schmetterlings auf meiner Haut mit purem Glück.
So gern ich diesen Tieren auch zusehe, so ist mir auch bewusst, wie fragil sie sind. Trotz aller Schönheit und der Lebensfreude, die sie ausstrahlen, sind sie unglaublich zerbrechlich. Die zarten Flügel sind äußerst sensibel. Schon eine kleine Berührung, egal wie vorsichtig, kann den Schmetterlingsflügel verletzen und er kann nicht mehr fliegen.
Es gibt Menschen, die erinnern mich an Schmetterlinge. Sie wirken fröhlich, wunderschön und erfüllen ihre Umgebung durch ihre Anwesenheit mit purer Freude. Sie erheitern uns durch ihren Humor, ihre Verrücktheiten oder ihre Spontanität. Sie scheinen mutig, prächtig und lebensfroh. Doch oft trügt die Fassade und sie sind sensibel und verletzlich. Wie Schmetterlinge.
© Melly Schaffenrath 2021-01-14