Frankensteins Braut und meine Bluse

Elisabeth-Christine Kayser

von Elisabeth-Christine Kayser

Story

Wir Frauen zogen uns gerne etwas offenherziger an, besonders dann, wenn es sehr warm war. Eine Kleiderordnung gab es nicht. Es wurde getragen, was gefiel und bequem war. Manchmal war es gar sehr provokant, allerdings rief das die Lästermäuler auf den Plan. Die Frauen in der Elektromontage trugen Arbeitskittel und Strickjacken, zumal es in den Hallen kühler war. Wir waren im Bürogebäude untergebracht, genannt Faultierfarm und der Hitze ausgeliefert. Dabei sind Büroarbeiten Nerven zehrender als das Löten und legen von Kabelbäumen. Zur Abwechslung halfen wir auch in der Packerei mit, um Kisten, Pakete und Päckchen zu packen. Gemeinsam legten wir eine Nachtschicht mit ein. Unsere Kollegin war mittlerweile zum Speziallehrgang und wir alle konnten aufatmen. Mich hatte sie vorher um die Bluse für die dort stattfindende Abschlussfeier gebeten.

In vielerlei Hinsicht halfen wir uns gegenseitig. Es war zwar nicht immer einfach, eine Gruppe Frauen unter einen Hut zu bringen. Wir erfüllten und verteidigten unsere Ziele und wurden regelmäßig Kollektiv der sozialistischen Arbeit. Ich war zur Vertrauensfrau gewählt worden und führte unser Brigadebuch, was mir Freude bereitete. Tippte demzufolge nicht nur stundenlang auf der mechanischen Schreibmaschine Rechnungen und Briefe, sondern konnte vieles mit der Hand schreiben. Unsere Delegierte kam bald wieder und war wie verwandelt. Sie hatte, dank meiner Bluse und sicher nicht nur deswegen, sich einen Liebhaber geangelt. Wir bekamen es bald mit. Sie war im Umgang mit uns sogar netter geworden. Ihr Mann zu Hause, der hatte nichts zu sagen und ihre drei Kinder waren frech und verzogen und brauchten im Haus und Garten nichts zu tun. Ihr Mann musste sogar bei einem unserer Chefs in ihrem Auftrag Kohlen in den Keller schaffen. Es gab sogar Frauen, die behandelten ihre Hunde besser als ihre Ehemänner. Sie ließen es sich gefallen, schon um ihre Ruhe zu haben. Dafür gingen sie gerne zum Fußball. Sie spielten gar selber und Unzählige waren auch Zuschauer. Fußball war beliebt und wir hatten gute Mannschaften. Wir alle gingen gerne zum Kegeln, waren rege. Meine Kollegin Christine und ich Christine, wir waren sehr fröhlich, gar lustig. Wir kamen auf die Idee, gemeinsam auf die Volkshochschule zu gehen, um Englisch zu lernen. Anschließend kehrten wir zum Essen ein. Verfressen, wie ich war, brachte ich es bis zu fünf Würzfleisch. Eine halbe Flasche Worcestersauce ging meistens drauf. Wir hatten ständig viel Spaß. Noch immer sind wir freundschaftlich verbunden und das seit über 40 Jahren. Sehen uns jedoch seit Jahren nicht. Tauschen uns über Urlaube aus. Doch wozu gibt es Telefon und die Post? Regelmäßig schreiben wir uns Karten und Briefe. Senden uns lustige Bildchen und Sprüche. Vielleicht kommen bald bessere Zeiten? Wir hoffen, dass es bald wird! Die Mehrheit der ehemaligen Mitstreiter weilt schon nicht mehr unter uns. Auch Frankensteins Braut. Sie bleibt jedoch nun in guter Erinnerung.

© Elisabeth-Christine Kayser 2022-03-30

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