Franzobel ohne Fahrrad

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Den Bachmann-Preis habe ich in meiner Jugend nur sporadisch verfolgt. Auch im Jahre 1995 war es nicht mein Begehr, mich mit den Lesungen oder den Diskussionen der Jury zu beschäftigen. Es war ein schöner Frühsommertag, ich hatte einen freien Nachmittag und wollte ihn nutzen, um Fahrrad zu fahren. Also, fuhr ich hurtig drauflos. Doch es dauerte nicht lange, da wurde mein Fahrrad störrisch. Es ließ sich trotz aller Bemühungen nicht mehr in Gang bringen. Der Weg zurück nach Hause war nicht allzu weit, vielleicht eine halbe Stunde oder Stunde, ich weiß es nicht mehr genau. Das Sprichwort: „Wer sein Rad liebt, der schiebt“ bewahrheitete sich damals voll und ganz.

Ich kam um Stunden früher als geplant in meine Wohnung zurück. Und weil ich angesichts der neuen Situation ein wenig Ablenkung suchte, habe ich den Fernseher aufgedreht. Und da begann gerade ein junger Mann seinen Text beim Bachmann-Wettbewerb vorzulesen. Sein Name wurde eingeblendet: Franzobel. Ich kannte den Schriftsteller nicht. Aber was ich zu hören bekam, fesselte mich. Der Mann schaffte es, während seiner Lesung auch noch Bier zu trinken, ein Phänomen! Und durch das abwechselnde Lesen und Bier trinken schien sich die Qualität der Lesung noch zu steigern. „Die Krautflut“, so der Name des Prosa-Textes, sollte ein paar Tage später absolut verdient den Bachmann-Preis zugesprochen bekommen. Für mich war völlig klar, dass alles andere als die Zuerkennung des Bachmann-Preises für diesen Text ein Scherz wäre. Das ist auch dahingehend interessant, da ich keinen einzigen weiteren Beitrag in diesen Tagen mehr zu hören bekam bzw. mich gar nicht mehr dafür interessierte.

Ein paar Jahre später hatte ich die Gelegenheit, Franzobel persönlich kennen zu lernen. Er war genau so ein munterer Bursch wie bei der Lesung 1995. Ein lustiger Kerl halt. Ich habe dann im Laufe der Zeit einige seiner Romane gelesen. An die bemerkenswerte „Krautflut“ kam meiner Auffassung nach nichts mehr heran. Mit dem Schriftsteller Franzobel beschäftige ich mich nunmehr nicht mehr. Er kann großartig schreiben, keine Frage, haut aber einfach zu viel raus und darunter leidet die Qualität. Was soll´s. Aber mit dem Fahrrad habe ich Franzobel eines Tages fahren sehen! Und zwar in den Prater Auen! Dorthin hatte ich im Frühsommer 1995 radeln wollen, als mir das Malheur mit meinem Fahrrad passierte. Und nun tauchte Franzobel, dessen erstaunliche Lesung ich nur hatte sehen können, weil mein Fahrrad streikte, auf seinem Drahtesel auf! Er flitzte so schnell vorbei, dass es mir nicht möglich war, ihm in Hörweite etwas zuzurufen, so etwas wie: „Das gibt´s ja nicht, mich holt meine Vergangenheit ein!“ Wäre ich auch mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, dann hätte ich mich sicher an die Verfolgung des Mannes gemacht, dessen Lesung sicher zu den erstaunlichsten Ereignissen in der Geschichte des Bachmann-Preises zählt.

So aber schloss sich der Kreis rund um Franzobel, mich und Fahrräder oder auch keine Fahrräder.

© Jürgen Heimlich 2019-04-11

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