von SuzukiOma
Jetzt kommt wieder die Zeit, wo Kinderherzen aufgeregt klopfen. Der Nikolaus ist im Anmarsch. Was wird er diesmal aus seinem großen, geheimnisvollen Sack zaubern?
Ich freute mich jedes Mal auf ihn, waren doch für diese Zeit ungewöhnliche Kleinigkeiten zu erwarten, wie Schokolade und Bonbons. Sollten vielleicht sogar Buntstifte dabei sein? Aufregung pur!
An diesem Nachmittag kam auch eine Bekannte mit ihrer kleinen Tochter, namens Susi, zu uns. Diese war etwas jünger als ich, aber trotzdem eine liebe Spielkameradin. Hinter unserem Garten begann eine wunderbare Wildnis bis zum Petersbach, die wir abenteuerlustig und oft durchstreiften, es gab hier ja so viel zu entdecken. Ihre Mama sah das nicht so besonders gerne, denn der Bach, normalerweise ein sanftmütig dahinplätscherndes Rinnsal, konnte oft mit viel Wasser sehr wild daherkommen. Die Gefahr bestand natürlich, dass man vor lauter Herumtollen eventuell das Gleichgewicht verlor und hineinstürzte. Der Petersbach war in diesem Abschnitt in ein Betonbett mit relativ hohen Mauern gezwängt und stellte für Mensch und Tier oft eine Gefahr dar.
Nun erwarteten wir gemeinsam den Besuch des Nikolaus und hofften auf gütige Nachsicht des Mannes mit dem weißen Rauschebart.
Endlich war es so weit. Die Türglocke ertönte und wir bibberten dem Eintretenden entgegen.
Natürlich bekamen wir aus dem großen Buch erstmal unsere Schandtaten vorgelesen. Er nahm uns auch das Versprechen ab, beim Spielen außerhalb der Gärten (in Anspielung auf unseren Abenteuer-Spielplatz) sehr, sehr vorsichtig zu sein, denn er hat nicht immer einen Wasserengel bei der Hand, der uns vor Unheil am Petersbach schützen konnte.
Aber danach kamen die lobenden Worte. Es freue ihn sehr, dass wir den Müttern stets zur Hand gingen, unsere Aufgaben zur Zufriedenheit der Lehrer ausführten und brav lesen würden. Bei mir fügte er noch ein Extralob bezüglich des Akkordeonspielens an, was mich natürlich zusätzlich freute.
Als wir uns für ein kurzes Gedicht hinknieten, machte ich eine interessante Entdeckung. Unser Nikolaus hatte Frauenschuhe an! Die ganze Zeit war ich bereits am Überlegen, an wem mich seine Stimme erinnerte. Dann kam die große Erleuchtung über mich. Ich stieß Susi mit dem Ellbogen in die Seite und kicherte ihr ins Ohr: “Schau nur, das ist ja die Frau Janecek” (eine Dame vom Nachbarhaus) ! Nun prustete die Kleine sofort los und war nicht mehr zu bremsen. Rascher als sonst bekamen wir unsere Geschenke, dann machte sich der Nikolaus aus dem Staub.
Nachdem ich die Mütter zwecklos versuchte aufzuklären, gab ich es schließlich auf und beschäftigte mich mit den erhaltenen Köstlichkeiten.
Zu unserem Erstaunen erhielten wir kurz darauf wieder Besuch, es war Frau Janecek, die sich erkundigte, ob bei uns auch schon der Nikolaus war. Diese liebe Dame hatte keine Kinder, wir beide waren sozusagen der Ersatz und von uns erhielt sie im Frühling immer die ersten Veilchen.
Aber nie wieder kam sie als Nikolaus zu uns!
© SuzukiOma 2020-11-27