Frau Pölderl

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Jeden Sommer schickte sie von Edlitz lustige Mecki-Karten an meinen Sohn. Über die Jahre kam da was zusammen. Sie war eine wichtige Bezugsperson. Seit 2004 liegt sie auf dem Zentralfriedhof, aber im Gespräch wird sie ganz oft lebendig.

Sie wohnte einen Halbstock tiefer und war viele Jahre unsere Leihoma. Auch als wir in einen anderen Bezirk gezogen waren und mein Sohn keine Beaufsichtigung mehr brauchte, besuchte er sie weiterhin. Sie sahen fern, blätterten in Fotoalben, spielten Karten, und Frau Pölderl fütterte ihn mit Geschichten von anno dazumal.

Als ich 1978 als junge Studentin in die frei gewordene Mietwohnung einzog, spürte ich sofort, Frau Pölderl war der gute Geist im Haus. Der Herr Pölderl, der damals noch lebte, hatte einen treuherzigen Dackelblick und einen Dauerhusten. Nach seinem Tod im Winter 1982 sprach die Frau Pölderl oft von ihrem Ferdinand, den sie nüchtern „den Pöderl“ nannte, ohne l in der Mitte. Der Pöderl, der vom Land nach Wien ausgewandert sei, jawohl, ausgewandert, hat es bis zum Polizei-Rayonsinspektor gebracht, nicht ohne Stolz sagte sie das. Ein Witwer mit drei Töchtern war er und immer gut zu ihr. Und weil er ein Sozi war, wurde auch sie in den 1950er-Jahren SPÖ-Parteimitglied und Wahlbeisitzerin.

Jahr und Tag hatte sie eine Schürze um, die ihre Leibesfülle so richtig zur Geltung brachte. Sie trug Herrensocken und ausgetretene Sportschuhe. Im 15. Bezirk war sie eine lokale Größe, aber ihr Bewegungsradius war klein. Er reichte gerade so weit, wie man mit einer umgebundenen Schürze gehen konnte. So lernte ich sie kennen, und an diesem Erscheinungsbild sollte sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern.

Ich glaube den Grund zu kennen, weshalb sich die Frau Pölderl meiner so angenommen hat, als ich schwanger war. Sie selbst war unehelich zur Welt gekommen und ohne Vater aufgewachsen. Sie lernte zupacken und sich bescheiden. Unterm Hitler nähte sie im Akkord Lederstiefel fürs Militär. Mit 25 ging sie von Raabs a. d. Thaya nach Wien, fand eine Arbeit und „den Pöderl“. Zu fünft wohnten sie in dieser winzigen Wohnung ohne Bad, Klo am Gang, im Wohnzimmer ein Wandklappbett und ein Käfig mit Kanarienvögeln.

Ein großes Herz in beengten Verhältnissen. Sie war unsere Oma. Als Dankeschön fürs Babysitten wollte sie nie Geld. Sie war zufrieden, wenn ich ihr Brennholz und Kohlen vor die Tür legte oder Fahrscheine für die Öffis kaufte.

Ihr ganzes Leben fürchtete sie den Arzt wie der Teufel das Weihwasser. Deshalb suchte sie nie einen auf, obwohl im Nebenhaus eine Arztpraxis war. Erst als die Bauchkrämpfe, unter denen sie seit geraumer Zeit litt, nicht aufhören wollten, nahm sie diese Unpässlichkeit zum Anlass und ging zum Herrn Doktor. Da war es schon zu spät. Sie wurde ins St. Josef Krankenhaus eingeliefert, wo sie an multiplem Organversagen starb.

Im Sommer zeigte sie mir noch ihre Sammlung von Partezetteln. Es war, als ob sie ihr Ende ahnen würde. Sie war beliebt, doch nur wenige erwiesen ihr die letzte Ehre.

© Sonja M. Winkler 2021-02-11

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