von Michelle Berger
Männer können sich in dieser Welt nahezu alles erlauben, während wir Frauen schon als Kinder gelehrt bekommen, sich nicht zu freizügig zu zeigen und möglichst wenig Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Am besten keinen zu langen Blickkontakt mit Männern halten, nicht zu lange lächeln, all das könnte falsch gedeutet werden. Doch das Problem an all dem sind nicht wir Frauen. Wir leben nicht mehr im 18 Jahrhundert, als man dachte, der Mann hätte weniger Selbstbeherrschung als eine Frau. Sie wollen sie nur nicht nutzen. Und dann kommen Sprüche wie: „Was darf *Mann* denn überhaupt noch sagen?“
Du darfst prinzipiell sagen, was du willst, Herbert, aber es ist deine Entscheidung, ein sexistisches Arschloch zu sein oder nicht. Schließlich ist es die schlimmste Vorstellung eines Mannes, dass der eigenen Tochter, der Schwester oder der Mutter etwas widerfährt, doch fremde Frauen? Das ist egal. Sie fordert es ja scheinbar heraus mit ihrem Kleidungsstil! Oder?
Und dann schreien die Männer wieder auf: NOT ALL MEN.
Männer, die so etwas sagen, sind meist Teil des ganzen Problems. Es geht nicht darum, schuldig zu sprechen oder sich selbst unschuldig zu machen. Es sollte viel mehr das eigene Verhalten reflektiert werden und aktiv dazu beigetragen werden, einer Frau aus einer unangenehmen Situation zu helfen, wenn diese erkannt wird, anstatt danebenzustehen und Herbert grinsend zu zunicken.
Wir leben im Jahr 2021 und trotzdem muss ich als Frau noch immer Angst haben. Ich verlasse das Haus besser nicht alleine, sobald es draußen dunkel ist, und wenn doch, dann nur in Begleitung oder mit Pfefferspray in der Hand. Ich trage am besten weite Kleidung, vermeide sämtlichen Blickkontakt, um möglichst kein Aufsehen zu erregen. Wir Frauen unternehmen Maßnahmen, um dem Fehlverhalten von Männern entgegenzuwirken. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen.
Es wird Zeit, das Patriarchat zu stürzen. Ein kleiner Schritt dazu ist schon, den Männern in unserem eigenen Umfeld nahezulegen, wenn ihr Verhalten misogyn ist. Es wird auf Widerworte stoßen und vor allem wird gesagt werden, dass man nicht übertreiben soll. Doch vielleicht nimmt sich zumindest jeder Dritte die Worte zu Herzen und überdenkt sein unangebrachtes Verhalten.
Als siebenundzwanzigjährige Frau, die gerne anliegende und teils auch kurze Kleidung trägt, habe ich schon viel zu viel Kontakt zu sexueller Belästigung machen müssen. Es fängt bei den scheinbar simplen Dingen an wie „Dickpics“, dem hinterher pfeifen oder unangebrachten Äußerungen und endet mit übergriffigem Verhalten bis hin zur sexuellen Nötigung. Hätte ich einiges davon verhindern können durch andere Kleidung? Dadurch, dass ich nicht höflich lächle? Vielleicht. Doch es ist nicht an mir, beziehungsweise uns Frauen unser Verhalten diesbezüglich zu überdenken. Natürlich könnte ich dies und das machen, um all das zu verhindern. Ich hätte auch nicht geboren werden können, dann hätte ich es schließlich auch verhindert.
© Michelle Berger 2021-10-12