Da ging ich, Achtzehnjährige, nichtsahnend durch eine Straße in Bozen, als mir eine Frau einen Zweig entgegenhielt: “Tanti auguri per il giorno della donna”, sagte sie lächelnd und schenkte mir Mimosen. Seither weiß ich, dass es diesen Tag gibt und dass man sich Mimosen schenkt. Eine Mimose zu sein, ist nicht schmeichelhaft in der Umgangssprache. Das sind aber zähe Gewächse, große Sträucher und Bäume, ein gelber, duftiger Blütentraum, wenn sie erblühen. Wenn man sie bricht, ziehen sich die Wattebällchen zusammen und verhärten.
Diese Begegnung habe ich im Gedächtnis behalten und später eine Tradition daraus gemacht. An jedem achten März habe ich viele Jahre lang einigen Frauen eine Blume gebracht. Einmal fragte mich ein Freund, weshalb ich nicht zur Frauendemo in die Stadt gehe, ob mich die Frauenthemen nicht interessierten. “Ich habe schon demonstriert”, antwortete ich gelassen und erzählte von meiner Blumenrunde. Nach der Jahrtausendwende habe ich sie gesammelt bei mir zu Hause und etwa zehn Jahre in Folge ein Frauenfest organisiert. Das erste Mal waren wir zehn, acht haben geraucht. Eine kam später und konnte uns kaum finden in dem Dunst. Getrunken haben wir zwei Flaschen Prosecco, zwei Rotwein und zwei Flaschen Weißwein. Von fünf Uhr nachmittags bis fünf Uhr in der Früh. Die Stimmung war so ausgelassen, dass ein Fremder sicher geurteilt hätte: Zehn stockbesoffene Weiber.
Jede hat ihr Spezialgericht vorbereitet, die Leckerbissen ergaben ein Haubenbuffet. Jedes Jahr eine andere Komposition von Frauen, Köstlichkeiten und Themen. Von tiefgründig und ernst bis weltbewegend praktisch. Einmal haben wir uns geschlagene zwei Stunden lang über Putzmittel, Swiffer, Knoblauchschäler und sonstige Haushaltszauberer unterhalten. Nachdem jede ausprobiert hatte, wie Knoblauchzehen mittels Gummischlauchstück zu schälen sind und die Finger sauber bleiben, waren drei Zwiebeln geschält. Irgendwann folgte ein Jahr Pause, dann folgte noch ein letztes.
Am 8. März 2021 habe ich geschlafen. Ich habe mich impfen lassen gegen dieses Mistvirus. Dann hatte ich Fieber und Gliederschmerzen. Mein Frauentagsfrühstück mit meiner lieben Freundin habe ich abgesagt. Kopfschmerzen. Vierundzwanzig Stunden geschlafen, mit kurzen Wachpausen dazwischen. Weggebeamt.
Heute ist der Tag danach. Wie weggeblasen.
Die Themen des achten März sind Gleichberechtigung, Gleichstellung, Gleichbehandlung, emotionale und soziale Intelligenz, Soft skills.
Das sind keine Frauenthemen, sondern gesellschaftspolitische, sozialpolitische und bildungspolitische Menschenthemen beider Geschlechter gleichermaßen und das erste Gebot der Stunde. Vor zwei Tagen haben mir einige zugerufen: “Nur Mut, lass dich impfen!“ Jetzt bin ich geimpft und habe den Frauentag verschlafen.
Bin aber erwacht aus dem Genesungsschlaf. Mögen wir doch Mimosen sein. Tief verwurzelt, unverwüstlich erblühend in Sonnengelb. Unkorrumpierbar.
© Elisabeth Kinigadner 2021-03-09