von Erdmann Kühn
In den einsamen Bergen der Maremma in der südlichen Toskana liegt, völlig abgelegen und auf den letzten Kilometern nur im Schritt-Tempo auf Schotterpisten erreichbar, der Öko- und Naturist-Campeggio Sasso Corbo. Ich darf mir den Platz aussuchen: Ganz abgelegen und einsam am Waldrand? Ich entscheide mich für den kommunikativeren Platz in der Nähe des Pools. Eine neue Herausforderung für mich: Öko ist kein Problem, aber nackt unter lauter Nackten – kann ich das? Bin ich mutig genug dafür? Ich frage bei den sehr netten holländischen Betreibern nach: Gibt es etwas, das ich wissen oder beachten muss als FKK-Novize? Nein, lachen sie, ich soll es einfach genießen.
Und das tue ich in den folgenden Tagen tatsächlich. Es ist sehr ungewohnt am Anfang, aber der Mensch gewöhnt sich schnell um. Die Kontakte sind nicht schwieriger als mit Klamotten, wenn man erstmal registriert hat, dass sich Sympathie, Interesse und Offenheit auch in unbekleidetem Zustand hauptsächlich im Gesicht des Gegenübers spiegelt. Dazu kommt, dass die Altersmischung hier gut ist und weder sektiererischer Ernst noch Kleingartenverein-Mentalität anzutreffen ist. Das liegt sicher auch an dem locker-entspannten Management. Nur ein Problem bleibt: Wohin mit dem Handy, wenn man nackt ist?
Eine halbe Stunde entfernt befinden sich die Thermen von Saturnia. Hier kann man nach Lust und Laune im milchigen, blaugrauen Schwefelwasser planschen, das mit viel Energie aus einem erloschenen Vulkan sprudelt, bevor es sich kaskadenartig in die Tiefe stürzt. Die Steine sind seifig-glitschig und es kostet etwas Überwindung, sich in die nach faulen Eiern riechende Unterwelt zu begeben, aber es lohnt sich. Man muss sich bloß gut festhalten, damit man nicht mitgerissen wird vom äußerst kräftigen Sog. Nach fünf Minuten haben die Geruchsnerven aufgegeben und man kann sich wohlig dem Badevergnügen hingeben, ohne jederzeit mit der Ankunft des Teufels in Begleitung seiner Großmutter zu rechnen. Die Italiener tun dies vor allem in den kälteren Jahreszeiten, denn im Sommer sind 38 Grad meist kein Vergnügen, außer ganz früh am Morgen vielleicht.
© Erdmann Kühn 2021-02-05