Fred, der Baum, der mich pflanzte

lavoce

von lavoce

Story

Vor Jahren hatte ich eine Vision. Eine Mission. Ich würde einen Baum pflanzen.

Eiligst mit dem Fahrrad in die örtliche Gärtnerei gedüst, wurde ich von gefühlt hunderten Apfel-, Kirschen-, Birnenbäumchen empfangen, deren blühende Pracht mich regelrecht verzückte. Ich langte nach einem wunderbar herrlichen Exemplar, als ich IHN sah.

Allein und verlassen stand er da. Blickte mich mit herabhängenden Ästen an. Traurig, als wollte er sagen: „Jaja, lass dich nur von Äußerlichkeiten verführen …“ Dieses Bäumchen hatte etwas Anrührendes. Und da ich immer schon ein Faible für Außenseiter hatte, packte ich das Ding und machte mich auf zur Kasse. Die Dame an derselben blickte mich ungläubig an: „Das wollen Sie aber nicht wirklich mitnehmen, oder? “ Ich warf einen letzten sehnsüchtigen Blick in Richtung Blütenmeer, betrachtete dann mein kahles, mickriges Stämmchen, und war mir so sicher wie nie zuvor: das oder keines.

Die Radfahrt mit Grünzeug am Sozius gestaltete sich leicht abenteuerlich. Noch abenteuerlicher wurde es zu Hause. Mit keinerlei grünem Daumen gesegnet, dafür ziemlich grün hinter den Ohren, klemmte ich das Stämmchen unter meinen Arm, trippelte in Richtung Minigarten und sprach zu Baum in spe: „Wo wäre es dir denn genehm?“ Keine Reaktion. Bäumchen verstand wohl kein geschwollenes Deutsch. „Wo wüst hin?“ Zaghaft hob sich ein Ast. Ah, ein steirischer Baum! Umso besser. Ich deutete auf eine Stelle in der Wiese. Er schüttelte sich. Ich wies auf einen anderen Platz. Wieder Astgerüttel. „Wohin sunst?“ Ein mickriges Zweigerl zeigte in Richtung Minibeet. „Net dei Ernst, oder?“ Wollte mich diese Pflanze etwa pflanzen? Aber nun gut, dann eben mitten ins Beet. Ich zückte meine Minigartenschaufel und begann zu graben. Inzwischen überlegte ich mir einen Namen für meinen neuen Freund. Wenn ich schon mit der Natur sprach, dann wollte ich sie auch beim Namen nennen.

So ward mein lieber Fred geboren. Fred musterte mich mit hochgezogenen Ästen, frei nach dem Motto: „Mit dem Schauferl wird das aber nix werden.“ Gut, holte ich eben den Riesenspaten aus dem Keller. Fred krümmte sich bei meinem Anblick (vor lauter Lachen). Ja, diese Pflanze wollte mich definitiv pflanzen. Ich begann wieder zu graben und ein paar Stunden und Kreuzschmerzen später, wies das Beet ein Riesenloch auf. Ich stellte Fred hinein, grub wieder zu und betrachtete mein Freundchen. Mickrig sah er ja noch immer aus, aber irgendwie glücklich.

So glücklich, dass er mir keine zwei Wochen später eine wunderbare, einzigartige Magnolienblütenpracht bescherte.

Ja, Fred ist ein kleines Wunder, das aus einer Vision heraus entstand. Aus einer Vision, die Wirklichkeit wurde.

Was ich mit dieser Geschichte eigentlich sagen möchte: Ein Baum ist keine Sache, kein Ding, sondern ein Lebewesen. Gebt euren Bäumen Namen. Ein Baum läuft Gefahr, eines Tages von einem schattenüberdrüssigen, asphaltverliebten Menschen gefällt zu werden.

Ein (bzw. mein) Fred garantiert nie …

© lavoce 2021-04-30

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