von Jenny Richter
Mein Mann fragte mich: „Wenn du früh aufwachst und keiner neben dir liegt, wenn du abends ins Bett gehst und keiner auf dich wartet, nennst du es Freiheit oder Einsamkeit?“
In unserem Alltagsstrudel, in dem ich weder Raum für mich noch für uns als Paar fühlte, in dem ich all meine Grenzen wieder hatte massiv überschreiten lassen, aus Angst davor, ihnen „Nein!“ zu sagen und sie damit zu verletzen, sie vor den Kopf zu stoßen, oder aus Angst davor, dass ich selbst nicht wusste, was ich wirklich will, schrie es in mir und antwortete ich ihm leise „FREIHEIT“.
Die Freiheit, mal wieder von selbst aufzuwachen. Die Freiheit, mal wieder selbst zu bestimmen, WANN ich aufstehen will und was ICH als Erstes machen WILL. Die Freiheit, mit niemandem spielen zu müssen, obwohl ich meine Augen noch nicht öffnen kann. Die Freiheit, niemanden berühren zu sollen, obwohl ich mich selbst noch nicht spüren mag.
Die Freiheit, selbst zu entscheiden, WIE ich in meinen Tag starten will. Die Freiheit, ins Bett zu gehen, wann ich ins Bett gehen will, und nicht, wann ihr mit mir ins Bett gehen wollt. Die Freiheit, nachts von niemandem geweckt zu werden, durch Zähneknirschen, Durst, Pullern oder ein Nähebedürfnis.
Die pure Freiheit, alles selbst zu bestimmen!
Nun bin ich allein. Gehe abends allein ins Bett, wache morgens allein auf. Wälze mich nachts allein im Bett herum. Wache nachts von selbst auf. Ich stehe auf, wenn es mir so ist. Ich mache als Erstes, was ich als Erstes machen will. Ich brauche niemanden berühren und niemanden bespaßen. Ich kann mich noch 10 Mal umdrehen, noch 2 Stunden grübeln, noch 1 Stunde weinen…
Und spüre: Da ist viel Einsamkeit.
Ich möchte früh überhaupt nicht aufstehen. Weil ich nicht weiß, wofür.
Und dann verstehe ich plötzlich, warum ich euch so oft am Morgen nicht mag, warum mir eure Lebendigkeit so oft zu viel ist: Weil ich meine eigene nicht fühle, und ihr mir direkt am Morgen diesen massiven Spiegel vorhaltet.
Und dann gehe ich einen Schritt zurück, schaue auf die Situation und bin dankbar. Denn Martin Buber hatte recht: „Ich werde am Du zum Ich“. Ihr zeigt mir, wo es hängt bei mir, was ich (noch) nicht kann und wo ich mir selbst im Weg stehe. Und das tut weh und nervt und macht mich sauer.
Darum brauche ich meine Zeit für mich, für mein Grübeln und Sortieren, mein verletzt Sein und mein Betrauern. Und ich brauche euch. Denn die Zeit mit euch ist kostbar und endlich.
Ich möchte Beides. Ich möchte viele Tage, an denen ich aufwache und dich früh küssen kann. Viele Tage, an denen ich aufwache und mich nochmal an dich kuscheln kann. Viele Tage, an denen eines unserer Kinder zwischen uns liegt, weil es Nähe braucht. Oder beide Kinder.
Und ich möchte die Tage, an denen ich innehalten, grübeln, meine Wunden lecken kann, um hinzufühlen, hinzuschauen und zu heilen – all das, was ihr mir an den anderen Tagen aufzeigt, aufdeckt und manchmal aufreißt.
Einfach so.
© Jenny Richter 2024-07-16