Freude am Fahren

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

“Ich lenke, also bin ich!”, grinse ich zufrieden, als ich in Richtung Heimat gondle. Ich liebe Weniges im Leben wirklich, doch meinen Bayern liebe ich aus ganzem Herzen. Er ist schon alt, wie ich. Er ist in seiner Optik zeitlos schön, wie ich. Limited Edition, wie ich. Er sieht aus, als wär er grad aus der Fabrik gefahren worden, anders als ich. Wer noch nie einen E39 gefahren hat, hat das Leben verpasst! Laufruhe, Esprit, dabei den Komfort eines Schlafwagens des Orient Expresses und bei Bedarf die Wildheit eines Jägers.

Noch anderthalb Stunden, dann bin ich bei Mutti. Sie weiß nicht, dass ich komme. Und ich hab ihr noch nicht gratuliert. Sie denkt bestimmt, ich hab ihren Geburtstag vergessen. Viel los heut. Alle wollen irgendwohin. Und jede Menge Harleys. Scheint wohl ein Treffen im Süden gewesen zu sein. Vor mir einer mit einem Matiz. So eine Kleingurke, die ich mir nach einer langen Fahrt immer dutzendweise mühsam aus dem Grill popeln muss. So eine Schleuder, die an der Ampel nicht vom Fleck kommt, wenn ich dahinter die Lüftung auf Stufe zwei hab. Aber… Ich bin begeistert, denn der Fahrer treibt die Affenschaukel aus Fernost an deren motorischem Limit mit 120 Sachen über die Landstraße, bremst nicht vor jeder Kurve. Seltenheitswert, der mich erfreut. Und ich bin sanft.

Da pendelt der Matiz vor mir nach rechts aus, die roten Lichter gehen an, es raucht von Gummi am Asphalt. Ich steige in die Eisen. Mein Bayer macht “Wiiiiep!”, dann stehen weit über anderthalb Tonnen deutschen Stahls. Und vor mir schwankt ein SUV; knapp 20 Zentimeter trennen uns. Der Fahrer starrt mit schreckensweiten Augen, dem Tode knapp entronnen, die Pfoten am Lenkrad verkrallt. Verflogen ist meine Sanftheit, und ich brülle zornig in meinem mobilen Zen-Tempel: “Du dumme Wichsgurken, verreckte! Roa-Hippie blöder! Sonntagsfahrer, unnötiger!” Aus der Kolonne im Gegenverkehr hat jener Unsägliche vermeint, es wäre der rechte Moment, die Harley vor ihm zu schnappen. Nebensächlichkeiten wie keine Sicht nach vorn und den Matiz und mich im Gegenverkehr hat er dabei ausgeblendet. Den Bauch voll Wut, seh ich mich geistig diesen Schmock aus seiner Karre zerren und ihn wie einen Truthahn würgen. Was für ein Arsch! So eine dumme Sau! Idiot! Cretin! Nur einen Augenblick gezögert, und wir wären durch den Plastik-Pseudo-Panzer gegangen wie ein heißes Messer durch Butter. Was für ein Dödel!

Die Szene löst sich auf.

“Was alles einen Lappen hat! Was alles fahren darf!” Ich schimpfe immer noch. Dem Bayern ist’s schon lang egal. Ich atme zweimal tief. Dann lächle ich und lege meine Hand ans Leder, streiche sanft darüber. “Das hast du gut gemacht!”, sag ich. Ich seufze tief, und langsam macht sich wieder Sanftmut breit in meinem Herzen. Der Atheist wird zum Buddhisten, weil Dinge eine Seele haben müssen. “Ich liebe dich!”, sag‘ ich, und sanfte Fingerspitzen spüren kribbelnd auf Hochglanz-Mahagoni-Immitat: Mein Bayer liebt mich auch.

© MISERANDVS 2021-09-13

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