Freundschaft tut weh

Linna

von Linna

Story

Nach einem Umzug wechselte ich die Schule. Mein drittes Schuljahr begann in einer kleinen Dorfgrundschule, in einer für mich neuen Klasse von 17 Schüler*innen. Ich fand erstaunlich schnell Anschluss in der Mädchengruppe und hatte zum ersten Mal das Gefühl Freundinnen gefunden zu haben. Ein Mädchen namens Nina erkor mich zu ihrer neuen besten Freundin aus, was mein damals 8-jähriges Ich sehr freute, weil ich durch Nina dazugehörte, da sie sehr beliebt war. Ich gab alles, damit mich alle mochten, denn ich wollte nicht alleine sein. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste und erst Jahre später erfuhr, war, dass ich den Platz als Ninas „beste Freundin“, von einem anderen Mädchen, namens Mara, eingenommen hatte und sie schon bald Opfer von Mobbing ihrer „Freundinnen“ werden würde.

In den folgenden Monaten veränderte sich das Klima in unserer Mädchengruppe. Mara, die eine gute Schülerin, intelligent, taff und mutig war, geriet aus der Mitte unserer Truppe ins Abseits, in eine Hölle. Es begann eine Gewaltspirale, die mich heute noch schaudern lässt, vor allem, weil ich ein Teil davon war. Diese Spirale begann mit Sticheleien gegenüber Mara, die rasend schnell immer abscheulicher und gewaltvoller wurden. Anfangs tadelte Nina Maras Verhalten, sagte zu ihr, dass sie sich nicht „so aufführen“ solle oder sie eine „uncoole Besserwisserin“ sei. Nina suchte Gründe dafür, dass Mara nicht mehr zu uns gehören würde, weil sie zum Beispiel eine Brille trug, die andere nicht brauchten, oder sie Sandalen an den Füßen hatte, die meisten anderen Mädchen (ich übrigens auch nicht, war Nina egal) aber Ballerinaschuhe trugen, was laut Nina dafür spräche, dass sie hier falsch sei. Viele der anderen Mädchen ahmten Ninas Verhalten nach und übernahmen ihre Strategien, um Mara zu demütigen, was zu einer Gruppendynamik führte, die immer radikaler wurde. Mara musste Beleidigungen und Beschämungen ertragen, ihr wurden Sachen geklaut, sie wurde bedroht und bespuckt. Nina hatte sich eine Machtposition aufgebaut, die nicht wenige fürchteten. Das Mobbing ging weiter. Mara verlor ihren Vornamen. Nina und viele Andere nannten Mara nur noch „die Hose“, als wäre sie kein Mensch mehr, sondern „eine tote Hose“, die sinnlos durch die Gegend wandle. Immer mehr Kinder schlossen sich dem an, viele davon wurden auch überredet oder gezwungen mitzumachen. Es wurde zu einem „lustigen Spiel“ von Maras Peinigern, „die Hose stinkt“ zu rufen und kreischend wegzulaufen, wenn Mara sich in ihrer Nähe aufhielt. Es war und ist unfassbar grausam.

Zu einem gewissen Anteil war auch ich eine Täterin. Auch wenn ich mich still weigerte Mara zu beleidigen, sie zu ignorieren (übrigens ein Wort, welches Nina mir beibrachte), mich nicht daran hielt sie „die Hose“ zu nennen und immer wieder versuchte die anderen Kinder von Mara abzulenken, fühlte ich, dass es falsch war, dass ich Mara beschützen und mich Nina und allen anderen in den Weg stellen wollte, aber ich tat es nicht. Ich hatte Angst. Ich hatte Angst vor dem Zugehörigkeitsverlust zur Gruppe, allein zu sein und vor allem davor, selbst zum Ziel dieser Gewalt zu werden.

Vier Jahre später, auf einer anderen Schule in einer neuen Klasse, aber mit einigen Mitschüler*innen aus der Grundschulzeit, begann sich etwas zu wiederholen. Dieses Mal gab es immer noch Nina, aber keine Mara mehr, sondern mich.

© Linna 2024-10-22

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Traurig, Angespannt, Sad
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