von Nadine Henke
Es ist merkwürdig, wenn Freundschaften zu Ende gehen. Sich im Nirwana befinden, irgendwo zwischen Hoffen auf Annäherung und Resignation, weil es nicht mehr ist wie früher. Nicht mehr so sein kann. Wann ist man bereit, loszulassen?
Wenn die einstige Vertrautheit, das Verstehen, wortlos, plötzlich zu schüchternen Blicken wird, zu unsicheren Gesten, zu einem Hoffen, dass sich der andere wohlfühlt in der eigenen Gegenwart. Anders, als man selbst. Erzwungen sind das Lachen, angstvoll die Gespräche über die Interessen, die man eigentlich kennen müsste. Angst davor, das Falsche zu sagen. Was, du bist nicht mehr mit Alex zusammen? Aber jetzt mit Malik? Achso.
Ein erschöpftes Anlehnen an die Schulter des anderen scheint jetzt unmöglich, zu steif sind die Körper. Lippen bewegen sich und sagen doch nichts von Bedeutung. Weil das Gefühl des grenzenlosen Vertrauens fehlt. Das Gefühl, gesehen zu werden. Blinde Augen wandern durch den Raum und bleiben an jemand anderem hängen. Jemandem, der jetzt vertraut ist. Wo sich Verkrampftheit in Lachen und Wärme verwandelt. Hier bin ich jetzt Zuhause.
Und trotzdem ist Loslassen schwer. Weil der Gedanke an das frühere Wir immer noch gefällt. Das Wir, das sich im damaligen Moment so unsterblich angefühlt hat. Als könnte niemals irgendetwas an diesem Wir ändern. Und dann – irgendwie – ist es doch passiert. Das Leben hat sich dazwischen gedrängt, wortlos, über einen Zeitraum, der jetzt nur noch vage erkennbar ist. Und plötzlich ist die Kluft so groß, dass sie unüberbrückbar erscheint. Ausschnitte des Lebens werden zu wischbaren Fotos auf Instagram, die an einem vorüberziehen. Ich selbst bin kein Teil davon. Die Person auf dem Foto erscheint fremd. Fremder, als du mir je erschienen bist.
Manchmal frage ich mich: Denkst du auch wehmütig an uns zurück? Aber vielleicht bist du besser darin, im Loslassen. Meine Stärke war das nie. Ich frage mich immer noch, ob es eines Tages wieder werden kann wie früher. Stundenlange Gespräche auf Schaukeln, Bandwurmgedanken auf Treppenabsätzen, Frieren vor der Haustür, kein Ende finden, nicht verabschieden wollen, langgezogene Umarmungen, weil die getrennten Stunden bis zum nächsten Tag unendlich lang erscheinen. Du an meiner Seite warst das Normalste der Welt. So normal, dass ich keine Zukunft ohne dich gesehen habe. War ich naiv?
Es tut weh, immer noch. Dieser Trennungsschmerz, der sich von hinten anschleicht bei Freundschaften, die langsam ausschleichen. Der leise kommt, ohne lauten Knall, ohne Streit, ohne Auszug aus der gemeinsamen Wohnung oder besorgte Fragen aus dem Freundeskreis.
„Oh nein, wie geht’s dir?“ „Das tut mir leid.“ „Arschloch.“
Stattdessen sieht man sich dem Schmerz allein gegenüber, Face to Face, ganz ohne, dass es jemand bemerkt. Denn Stück für Stück verschwinden fällt weniger auf. Bis die Lücke so groß ist, dass es plötzlich doch weh tut. Sehr sogar.
© Nadine Henke 2022-08-28