Friedel in der Schweiz

Erdmann Kühn

von Erdmann Kühn

Story

Am Hauptbahnhof steigen der kleine Friedel und seine Tante in den D-Zug. Der Schaffner kommt und knipst ein kleines Loch in seine Fahrkarte. Auf der kleinen Karte aus brauner Pappe steht BERN. “Gibt es da auch Bären?” fragt er. Die Tante lacht und erzählt ihm von den Bären im Berner Zoo und dem Bären im Stadtwappen. Friedel erzählt vom steinernen Bären im Eisbärenweg am Schäfersee, wo er immer mit den anderen Kindern auf der Straße spielt.

Lang dauert die Fahrt. Er sieht den Kölner Dom und den Rhein, an dem sie viele Stunden entlang fahren. Es wird schon dunkel, als sie in Basel ankommen. Dort müssen sie umsteigen. Schon auf dem Bahnsteig hört er viele Stimmen, die er nicht versteht. Ein freundlicher älterer Herr im Abteil fragt ihn etwas, das er nicht richtig versteht. Jetzt hält er ihm eine Tüte mit Bonbons hin und fragt: “Zücki?” Friedel schaut zur Tante, die nickt. Er nimmt sich ein Zücki, bedankt sich und setzt sich schnell wieder neben die Tante, um den quietschgelben Bonbon auszupacken und in den Mund zu schieben. Ah, so schmeckt also die Schweiz!

Wie sie aussieht? Dunkel, geheimnisvoll. Es ist Nacht geworden, ab und zu gibt es Lichter in der Ferne oder einen hell erleuchteten, entgegenkommenden Zug, der in Sekundenschnelle wieder verschwunden ist. Mehrmals fahren sie durch Tunnel, dann wird es richtig finster. Der Zug sieht anders aus als der D-Zug aus Hannover. Überall sind kleine weiße Kreuze auf rotem Hintergrund zu sehen, auf den Mülleimern, den Wänden, den Fenstern. Tante Christel braucht ihm nicht zu erklären, was das ist. Er weiß es schon, zu Hause hat er ein Buch mit Flaggen.

Einige Leute im Abteil schlafen, auch der Tante klappen ein paar Mal kurz die Augen zu. Den Schaffner versteht er gar nicht, aber er weiß ja inzwischen, was der sehen will und reicht ihm die kleine Fahrkarte, auf der BERN steht. In Bern werden sie am Ausgang von einem jungen Pärchen erwartet. Die beiden sprechen Französisch und lachen freundlich, als er “Bonjour!” versucht, das er von der Tante gelernt hat. Am Parkplatz wartet das Auto, das sie nach Le Locle bringen soll. CITROEN buchstabiert er, wie Zitrone, auch die Scheinwerfer sind gelb. Das Heckfenster steht wie ein spitzer Raubfisch-Zacken schräg nach außen.

Er klettert auf die Rückbank an die Innenseite der Raubfischflosse und versinkt in den weichen, roten Polstern. Bald sind sie aus der Stadt herausgefahren, es wird wieder dunkel. Der Motor brummt gemütlich, das Auto wiegt sich hin und her in den Kurven der endlosen Landstraße. Als er wieder wach wird, steht das Zitronenfischauto schon auf einem Hof, Gepäck wird ausgeladen. Er hat das französische Wort für Guten Tag vergessen und ist noch ganz verschlafen. Als er die Tür öffnet, sagt er, zum großen Entzücken der versammelten Mannschaft: “Zücki!”

© Erdmann Kühn 2021-05-16

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