Friedhof

Stephanie Wimmer

von Stephanie Wimmer

Story

Doch dann fängt es an zu Schütten.

Ich bin gerade am Friedhof angekommen, als vereinzelte Regentropfen zu einem richtigen Unwetter werden. „So ein Mist“, fluche ich, und renne, um es rechtzeitig unter das Vordach des Blumengeschäfts zu schaffen.

Der Matsch quietscht unter meinen Schuhen, einmal falle ich fast hin, so rutschig ist es.

Bibbernd stehe ich schließlich unter der Überdachung und warte, dass es aufhört zu Schütten.

Am Friedhof ist es gespenstisch ruhig. Keine Menschenseele ist zu sehen. Da kriegt man ja fast schon Angst, denke ich mir, während mein Blick über die Gräber wandert. Ich frage mich, welche Geschichten sich unter jedem Grab verbergen.

Was wohl die Menschen dachten, bevor sie verstarben.

Bereuten sie, wie ihr Leben verlaufen war?

Als es schließlich aufhört zu regnen, marschiere ich zum Grab meiner Oma. Während ich an den Gräbern vorbeiwandere, tut es mir leid, dass ich so viele Menschen niemals kennenlernen werde. Dass sie einfach verschwunden und vielleicht sogar vergessen worden sind.

Am Grab meiner Oma lege ich meinen Blumenstrauß hin und denke an sie, an unsere gemeinsame Zeit und ihre bedingungslose Liebe, die sie mir geschenkt hat.

Ich frage mich, warum sie nicht jammern wollte.

Warum es ein Geheimnis bleiben musste, wie unglücklich sie in ihrer Ehe war.

Warum sie lieber starb, anstatt sich jemanden anzuvertrauen, sich Hilfe zu suchen.

War ihr Stolz wirklich so groß gewesen?

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter und wische mir die Tränen von der Wange.

Ich will es besser machen. Das nehme ich mir fest vor.

Als ich den Friedhof verlasse, hat sich ein riesiger Regenbogen gebildet. Ich sehe gerührt zum Himmel, beobachte die Farben, und beschließe, dass ich weiterkämpfen werde.

© Stephanie Wimmer 2023-09-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional