von Manfred Voita
Die Frau im Verkehrsverein sagt, dass um diese Jahreszeit nicht mehr so viele Leute das Schiff nach Hiddensee nehmen werden. Außerdem sind sechs Stunden Fahrzeit doch recht viel für einen Aufenthalt von drei Stunden. Wir machen uns trotzdem auf den Weg zum Schiff und finden gerade noch zwei freie Plätze.
Der Bodden liegt vor uns, es ist noch ziemlich kühl. Schwäne, Kormorane, Grau- und Silberreiher, Möwen, Enten und Gänse. Später dann auch noch ein Seeadler und Kraniche. Jede Menge Natur im Angebot.
Ein Mitreisender versucht, amerikanischen Passagieren die heimische Tierwelt zu zeigen und fachgerecht zu benennen.
Der Bodden ist flach, an manchen Stellen nur 20 oder 30 cm tief, die Vögel stehen einfach im Wasser. Stralsund und die Rügen-Brücke sind gut zu sehen, ein Stück weiter ein ehemaliger Wachturm der DDR-Grenztruppen. Dann, es ist Mittag, Hiddensee.
Wir mieten Fahrräder. Hiddensee ist schön. Unglaublich schön. Vom Dornbusch, einer Erhebung, die während der Eiszeit zur Freude heutiger Touristen zusammenkomponiert wurde, schauen wir über die Insel, die Ostsee und den Bodden und können uns nicht sattsehen.
Hiddensee ist klein, manchmal sind die Wege kaum befestigt, dann wieder Betonplatten. Als Gerhart Hauptmann Hiddensee für sich entdeckte, gab es noch keinen Tourismus. Wie schön muss die Welt gewesen sein, bevor wir damit begannen, sie für uns zu entdecken. Wir werden wiederkommen, um unsere Eindrücke zu überprüfen, das nächste Mal für ein paar Tage, denn das drei Stunden nicht reichen, das stimmt.
Fahrräder abgeben, ein Fischbrötchen auf die Hand und Rückfahrt. Es ist nicht mehr ganz so voll. Dafür stehen zwei Leute mit ihren Rädern an der Kaimauer und sehen unglücklich dem Schiff nach. Die dürfen nicht, die müssen länger bleiben.
Nicht lange, und die Sonne beginnt mit einem unbeschreiblichen Lichterzauber, der Himmel über dem Bodden färbt sich in mehr leuchtenden Tönen, als ich zu benennen weiß und während des spektakulären Sonnenuntergangs sind auf einmal die Kraniche am Himmel, erst kleinere Züge, dann große Scharen. Glücksvögel, wie unser Kapitän durchsagt. Kraniche krakeelen, fliegen flach über dem Wasser und hoch am Himmel, schwarze Silhouetten zeichnen sich gegen den abendroten Himmel ab. Kameras. Ferngläser. Ein Hin und Her an Bord. Backbord die Kraniche, die im flachen Boddenwasser landen, Steuerbord das Lichterspiel. So viel zu sehen. Dann wird es langsam dunkel, kälter und leise.
© Manfred Voita 2021-10-12