Froschgeschichten

Heute bin ich am Pappelteich gesessen und habe mich an meine Kindheit erinnert. Ich bin immer gerne durch den Wald gelaufen – auch, als es noch gar kein Waldbaden gab. Aber es hat heute diesen Moment am Teich gebraucht, um mich zu erinnern.

Ich erinnerte mich plötzlich an das fröhliche Plappern der Leberblümchen und Hänsel und Gretel am Wegesrand. Die sanften Lieder der Himmelschlüsserl und der Buschwindröschen. Und an einen Moment an einem Fischteich meines Vaters, als ich den Kaulquappen zuhörte.

„Aber wenn es doch stimmt!“ sagte die kleine Kaulquappe. Ihre Geschwister verdrehten die Augen! Warum muss dieser kleiner Quälgeist immer nachfragen. Meister Kaulquappe sagte geduldig: „Was soll den stimmen, mein Kleines? Dass es hinter der Barriere doch eine Existenz möglich ist? Oder dass uns irgendwann der Schwanz abfällt?“ Die Kaulquappen – Klasse lachte laut auf. „Wie sollen wir denn dann schwimmen!“ rief eines vorwitzig heraus. Alle lachten. Meister Kaulquappe schaute kurz streng aber liebevoll und sagte: „Wir lachen niemanden aus. Fragen sind ganz wichtig im Leben. Aber die Fragen müssen einen Sinn ergeben.“ Die kleine Kaulquappe war verlegen. Es brannten ihr so viele Fragen auf der Haut. Fragen, die so unsinnig schienen. Aber alle Antworten, die Meister Kaulquappe ihr gaben, waren so unbefriedigend.

Was wäre, wenn hinter der großen Barriere tatsächlich so etwas wie Luft war, die man atmen konnte. Anders als bisher aber doch atmen. Und wenn es dort auch Pflanzen gab. Oder wenn tatsächlich der Schwanz nicht mehr notwendig wäre, weil man sich anders fortbewegen konnte. Wenn man nicht den ganzen Tag konzentriert auf Futtersuche gehen musste, sondern nur hin und wieder die Zunge rausstreckte und das Futter wie von selbst im Mund landete. Was wäre, wenn es wirklich Frösche geben würde und wenn Fische keine Todfeinde wären?

Meister Kaulquappe war sehr geduldig, aber irgendwann wurde es ihm doch zu bunt: „Schluss jetzt. Deine Fragen ergeben überhaupt keinen Sinn! Ohne Schwanz. Futter, das von selbst im Mund landet. Fische fressen uns nicht mehr. Hör dich doch mal selber zu! Das sind doch lächerliche Froschgeschichten. Wenn du überleben willst, wird es Zeit, dass du erwachsen wirst und mit dieser lächerlichen Träumerei aufhörst!“

Sehnsuchtsvoll schaute die kleine Kaulquappe zu mir. Ob sie mich sehen konnte? Ob sie mich ahnte? Ob sie je ein Frosch geworden ist?