Frost

David-Rosterberger

von David-Rosterberger

Story

“Die Luft, sie schmeckt ganz anders.”, sagt er und klingt dabei überhaupt nicht ironisch, wie ich es sonst von ihm gewohnt bin und ich überlege mir, ob nicht jetzt der Zeitpunkt wäre diese ganze Aktion abzubrechen.

Ist doch irgendwie idiotisch. Hier liegt überall Schnee, es ist Arsch-kalt, aber wir ziehen uns bis auf die Unterhose aus, nur um dann in Badehosen zu schlüpfen. Wieso habe ich mich nochmal dazu überreden lassen? Keine Ahnung! Man macht eben verrückte Dinge, wenn ein Freund gerade seine Langzeitbeziehung an die Wand gefahren hat und überzeugt davon ist, etwas für sein Seelenwohl tun zu müssen. Aber warum nicht den Frust in Alkohol ertränken … Selbst das kommt mir gerade vernünftiger vor.

“Willst du wirklich?”, frag ich ihn, dabei richte ich sie eigentlich in erster Linie an mich. Ich lasse die große Zehe behutsam in den See gleiten und mein ganzer Körper zuckt ruckartig zusammen. Scheiße nochmal, das ist sogar noch kälter als hier nackt herumzustehen (Badehose ausgenommen!).

Er nickt. “Nicht lang überlegen, einfach mal machen.”

Klingt wie so ein übler Werbespruch für einen Abenteuerurlaub, oder irgendwas das Yoda sagen würde. Nicht versuchen, machen… etwas in derart. Wie weit geht man, um einen Freund zu unterstützen? Ist es das wirklich wert. Lange habe ich nicht Zeit, um es mir zu überlegen… Also was soll’s. Augen zu und durch.

Langsam geht es nicht, stürme ich ins Kalte Nass, bis nur noch mein Kopf aus dem Wasser ragt. Es ist sogar noch kälter, schlimmer als in meiner Vorstellung. Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, mein Herz bleibt stehen. Meine Beine krampfen. Ich schlage wild mit meinen Armen um mich, um nicht unterzugehen. Aber dann geschieht etwas Eigenartiges. Mein Körper scheint sich an die Kälte zu gewöhnen. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass gerade alles Taub wird und ich einfach nichts mehr spüre.

“Wie lange noch?“, frage ich verzweifelt.

“Bis mein Handy piepst.”

Ich fange an, die Sekunden zu zählen. Konzentriere mich auf meine Atmung, schwimme um nicht unterzugehen.

Dann die Erlösung. Es piepst. Ich quäle mich an das Ufer, sprinte heraus, trockne mich mit meinem Handtuch ab und ziehe mich schnellstmöglich wieder an. Auf dem Weg zum Auto spüre ich eine Art inneren Frost, eine Kälte die einfach nicht weichen will.

Wir schalten die Autoheizung an. Auf 24 Grad. Die warme Luft bläst mir entgegen, aber wärmer wird mir davon nicht. Schöne Scheiße. Bleibt dieses Frost-Gefühl etwa für immer?

Ich drehe mich zu meinem Freund. Er lächelt, sagt: “Danke, dass du mitgekommen bist.”

Ja ich friere, aber das war es dann wohl wert.

© David-Rosterberger 2021-11-28

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