Früher war alles besser

Beate-Luise

von Beate-Luise

Story

Noch ungefähr sechs Wochen, dann ist schon wieder Weihnachten. Ich solle doch mal eine Weihnachtsgeschichte schreiben. Besser gleich ein Buch nur mit Storys über das Fest der Liebe, wünschte die Frau meines Cousins Michael. Ich erwiderte, über Weihnachten hätte ich nichts zu sagen, es sei bei uns immer gleich.

Doch halt!, da flackerte ein Lichtlein der Inspiration und Erinnerung an meinen kauzigen Vater auf, als er noch unter den Lebenden und bei uns unterm Weihnachtsbaum weilte. Die sich um ihn rankenden, höchst bizarren Anekdoten sorgen bis heute bei uns immer aufs Neue für Gelächter.

Es begab sich also zu einer Zeit, als noch ein “echter” Weihnachtsmann an unsere Tür klopfte und auch mein Vater an Heiligabend knurrig auf dem Sofa saß. Meine Kinder begegneten dem Fremden mit dem Sack auf unterschiedliche Art: Die Tochter schon ahnend, dass sich ein Nachbar oder bezahlter Dienstleister hinter dem weißen Bart verbarg; der Sohn, noch keine zwei Jahre alt, ängstlich dem Unbekannten gegenüber, doch voller Neugier auf den Inhalt seines geheimnisvollen Sackes.

Nachdem er die Geschenke verteilt hatte, verließ der Weihnachtsmann das Haus und die Kinder begannen sogleich, die Päckchen zu öffnen, während sie auf dem Boden hockten. Mein Vater beobachtete sie vom Sofa, also von oben herab, mit scheinbar geschlossenen Augen. Ob er schlief, wusste man nie genau. Als meine Tochter nun ein konisch geformtes Geschenk in die Hand nahm, kommentierte ich von der Seite: “Was ist das denn? Sieht ja aus wie ein Hörrohr!”

Mein nicht nur grantiger, sondern meist auch schwerhöriger Vater schien auf dieses Stichwort hin sofort zu erwachen, riss der Tochter das trichterförmige Päckchen förmlich aus der Hand und rief: “Ein Hörrohr? Lass mal sehen!” Möglich, dass seine Schwerhörigkeit ihn über Jahre nur situativ befiel. Sicher ist, dass für ihn früher alles besser war. Zu Zeiten, als es noch Monokel, Grammophone, Droschken, Pfeffernüsse als Weihnachtsgebäck und eben auch Hörrohre gegeben hatte. Meine Tochter nahm das Geschenk entrüstet wieder an sich und begann es endlich auszuwickeln. Voll echten Interesses sah der Alte ihr nun zu. Als ein aufklappbarer Klarinettenständer aus Metall zum Vorschein kam, hielt die Tochter ihn sich zum Spaß wie ein Hörrohr ans Ohr.

Mein Vater teilte, falls er überhaupt je Humor besessen hatte, den unseren nicht und verstand daher auch den Gag nicht. Beglückt rief er aus: „Ein Hörrohr! Endlich mal was Vernünftiges!“

Als er unseren Blödsinn schließlich durchschaute und auch, dass wir ihn genasführt hatten, zog er grimmig seine ungestutzten Augenbrauen zusammen und brummte verdrießlich: „So ein Quatsch!“

© Beate-Luise 2021-11-11

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