„Früher war alles besser!“

Cleo

von Cleo

Story

Die schönste Lüge aller Generationen. Und seit Neuestem der Lieblingssatz meines gesamten Ü50-Umfelds – dachte ich zumindest anfangs. Er kommt von Oma beim Sonntagskaffee, von Papa beim Abendessen, von Mathelehrerin Pfeiffer beim dritten nicht verstandenen Aufgabentyp, von Vorstand Ralf beim obligatorischen Karriere-Rant in der Kantine. Er kommt zuverlässig, überall, und immer mit der gleichen selbstgefälligen Schwere als wäre die Vergangenheit eine makellose Netflix-Serie ohne Cliffhanger.

Nein, Frau Pfeiffer, früher waren die Schüler wahrscheinlich auch nicht scharf darauf, sich mit Vektoren und Potenzgesetzen traktieren zu lassen – das ist keiner mit normalem Menschenverstand. Wie oft ich mit Papa schon Diskussionen höchster Sinnbefreitheit darüber geführt habe, möchte ich gar nicht zählen … Aber – und hier kommt der besonders unangenehme Part – dann ertappe ich mich selbst dabei, wie ich auf unsere heutige Jugend herabschaue. Und zwar mit einem Blick tiefster Verachtung, der sogar meiner Oma Konkurrenz macht. Ich fluche über Zwölfjährige, die im Restaurant TikTok-Tänze einstudieren, während sie gleichzeitig Minecraft, Instagram, FaceFilter und wahrscheinlich auch noch ein virtuelles Aktienportfolio managen. Rolle entnervt die Augen, wenn mal wieder ganze Grundschulklassen mit ohrenbetäubendem Gebrüll in die S-Bahn einfallen.

Und immer häufiger zieht der Satz „Was ist nur aus der Jugend geworden?“ seine Kreise in meinem ach so kultivierten und überheblichen Kopf. Dann merke ich, dass ich nicht anders bin als Ralf, Papa oder auch alte-Schule-Connaisseurin Pfeiffer. Dann sehe ich die Welt plötzlich aus den Augen derer, von denen ich glaubte, mich so stark abzugrenzen – und ich kann sie auf einmal verstehen. Nicht vollständig. Aber auf einer Ebene des niedersten Waffenstillstands. Denn wenn ich ehrlich bin, ist auch meine Welt von damals mit einem gewissen Glanz überzogen, den kein Smartphone-Display je einfangen könnte. Die selbstgebauten Stelzen, auf denen ich wie ein betrunkener Zirkusclown durch den Garten torkelte (danke, Papa). Das Baumhaus, das drei Nägel vom Einsturz entfernt war, und das Gefühl, dass die Welt da draußen irgendwie viel einfacher und unkomplizierter zu sein schien. Diese Welt wird immer einen besonderen Platz in meinem viel zu selbstgefälligen Herzen haben. Von klein auf eine Welt gewohnt zu sein, die sich dann zunehmend von einem fremden Chaos in das nächste stürzt, ist nicht einfach und fällt uns allen doch irgendwo schwer. Zu sehen, wie die damals neue, besondere Form der Jeansmode – meine Mutter hatte als Kind genau eine Jeans, und die war ihr heiliger Gral (zurecht!) – heute in absichtlich zerrissene Hosen zerfällt, muss einfach absurd erscheinen.

Natürlich heißt das nicht, dass ich von Vorstand Ralf jetzt täglich hören will, wie viel besser früher alles war, weil man drei Tage durchgesoffen hat und trotzdem um sieben Uhr im Büro war – während die „heutige Jugend“ (das bin ich) zunehmend verweichlicht. Aber es heißt, dass ich verstehe, warum man mit einem nostalgischen Blick auf seine Jugend- und Kindheitserfahrungen zurückblickt und sie besonders wertschätzt. Und das ist okay.


© Cleo 2025-05-07

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Hoffnungsvoll, Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend, Reflective