von Gunny Catell
Gianni Versace, der Erfinder der Supermodels, war in den Neunzigern so etwas wie meine Modeikone. Damals war ich noch jung und Fashion gläubig und wollte solche Sachen tragen. Und Gianni hatte für mich nicht nur persönlich die größte Ausstrahlung, sondern auch sein überreicher Stil. Da wimmelte es nur so von Fantasie. Er selbst wohnte in herrlichen Palästen in Mailand und Miami, die er ganz nach seiner Traumwelt einrichtete. Seine Kleider strotzten vor farbenprächtigen Ornamenten und extravaganten Accessoires und ich bildete mir ein, auch irgendetwas Originales von ihm tragen zu wollen.
Ich fuhr daher in die Modemetropole Mailand und sah in meiner kleinen billigen Pension neben dem Hauptbahnhof, dass da viele junge Burschen aus den USA und anderen Ländern übernachteten, die sich als Models fühlten und zu Casting Terminen in die Stadt gekommen waren, um ihr Glück zu versuchen.
Am nächsten Morgen betrat ich das Versace Geschäft in der Via Monte Napoleone 11. Ein sympathischer junger Mann bediente mich und ich äußerte den Wunsch nach einem leistbaren Kleidungsstück. Er brachte mir zwei Hemden. Eines war supermodern und meine erste Wahl, aber zu teuer. Das andere war klassisch schwarz gemustert mit grünschillernden Rändern und V-Ausschnitt ohne Knöpfe – sehr Versace. Es war günstiger und ich kaufte es. Fast bei jedem Ball zog ich es später an und bei meiner Hochzeit.
Immer schon wollte ich weiter in die mondäne Welt Giannis eintauchen und nachdem er 1997 von einem Callboy ermordet wurde, reifte in mir der Entschluss, dorthin zu reisen, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte – Miami Beach. Ich wollte seine Villa direkt am Strand und die Umgebung kennenlernen. Sein Pool war mit goldenen Mosaiksteinsteinchen verziert. Hier hatte er sein geheimes Leben ausgelebt.
Ich ging an den Strand und lernte im Wasser einen jungen Kubaner kennen. Wir befreundeten uns und er nahm mich mit in sein Wohnheim, das aussah wie ein Gefängnis. Hier lebten viele Einwanderer in Waben wie in einem Bienenstock. Aber dieser Kubaner war sehr kultiviert. Er spielte die ganze Nacht über Beethoven Violinsonaten auf seinem CD-Player und erzählte mir von seiner Flucht aus Kuba. Ich nahm ihn dafür auf Ausflüge in die Everglades und in eine Roller Disco mit, wo wir Spaß hatten und wie in Starlight Express auf Rollschuhen im Kreis herumflitzten. Ich fühlte mich großartig, eine andere Kultur wie die kubanische kennenzulernen, die doch unsere viel mehr verstand als wir die ihre, die wir alles für selbstverständlich halten und kaum mehr Fremdes zu schätzen wissen.
In Miami begann ich zu begreifen, warum Gianni die Medusa als Logo für seine Marke ausgewählt hatte. Es war ihre unwiderstehliche Anziehungskraft und ihre Fähigkeit, jeden zu lähmen, der schwach genug war, der Versuchung nachzugeben, sie anzublicken. Sie war das Symbol für ewige Schönheit und Stärke.
Gianni konnte der Versuchung des Schönen nicht widerstehen. Und ich kann es auch nicht.
© Gunny Catell 2020-06-16