Fujiyama ich komme

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story
Kolsass 2023

Sonntagmorgen. Der Kaffee duftet, das Geschirr klappert, mein Mann bereitet das Frühstück. Ich genieße noch einen Moment der behaglichen Wärme im Bett und hänge meinen Halbwachträumen nach. Da dringen wie jeden Sonntagmorgen aus dem Radio die Klänge von ‚Du holde Kunst‚ an mein Ohr und locken mich an den Frühstückstisch. Ich werfe einen Blick in die Zeitung; da lässt mich der Name Christine Lavant aufhorchen. Schließlich gehört sie zu meinen Lieblingsdichterinnen. Nach den ersten Worten ist es mucksmäuschenstill. Ein „Pschscht“ Richtung meines Sohnes Jakob lässt ihn kurz erschrecken. Das Umrühren meines Mannes im Kaffee hört auf. Es ist wie im Märchen Dornröschen – alles stockt – sogar der Atem wird angehalten. Ich kenne viele Gedichte von Christine Lavant und bin immer wieder bewegt von ihrer Tiefe und ihrem Leiden, aber auch ihrer poetischen Kraft. Was hat sie mit dem Fujiyama zu schaffen?

Es packt mich, es ergreift uns alle – ein magischer Moment. Das ist neu: Fujiyama als Erlöser, als Seelenpartner. Man muss ihn nicht gesehen haben. Die leidende Frau kam ja kaum aus Kärnten heraus. Aber ich, ich muss hin, auch um ihretwillen. Dieses Gedicht will ich ihm bringen, dem Heiligen Berg, und wenn er sich mir nicht zeigt, so durchdringe ich die Wolken mit meiner Sehnsucht.

Heute war ich im Reisebüro. Im Oktober fliege ich, fahre ich, gehe ich, tanze ich. Natürlich habe ich auch die Romane meiner Kindheit im Kopf wie: ‚Denn der Wind kann nicht lesen‘. Eine Geisha war ich des Öfteren im Fasching. Mit einem Kimono will ich zurückkommen. Noch nie habe ich mich konkret mit dem Wunsch einer Reise nach Japan näher befasst. Meine Schwiegertochter stammt aus Japan, aber sie erzählt wenig von ihrer Heimat. Sie möchte nicht mehr dort leben – zu eng waren die traditionellen Gepflogenheiten für sie. Natürlich wäre es schön, mit meinen Enkeltöchtern das Land zu erleben, in dem sie zur Hälfte ihre Wurzeln haben. Aber ich kann nicht mehr länger warten – also trete ich diese Reise allein an. Sie hat ja jetzt eine besondere Destination.

Außerdem sind meine Alleinreisen immer eine Reise zu mir selbst. Als wichtigstes Gepäck habe ich mich dabei und lebe von dem ersten Moment im Bus bis kurz vor dem Zurückkommen in einer anderen Welt.

Ein bisschen ist es wie in dem wunderbaren Film ‚Kirschblüten – Hanami‚ mit Elmar Wepper. Ich will wissen, was den Zauber ausmacht und ich werde ihn spüren, da bin ich überzeugt. Der Protagonist in Kirschblüten will Japan mit den Augen seiner Frau sehen, deren Traum, einen ‚Butoh‚ – japanischer Ausdruckstanz – zu tanzen, nicht mehr in Erfüllung ging. Seine surrealen Erlebnisse werden nicht meine sein. Aber meine Augen und mein Herz werden neue Geschichten finden.

Nichts kann mich aufhalten. Ich werde den Fuji San – so heißt er richtig – in mein persönliches Weltkulturerbe aufnehmen.

Fuji, ich komme! ‚Das ferne Land ist schon in mir‘ (Hertha Kräftner).

© Christine Sollerer-Schnaiter 2023-04-29

Genres
Reise, Spiritualität
Stimmung
Emotional, Inspirierend, Mysteriös, Reflektierend, Traurig