Fünfzig

Evelyn Weyhe

von Evelyn Weyhe

Story

Meine Mutter bekam an ihrem 50. Geburtstag einen Heulkrampf. Dieser Tag war für sie, wie sie später erzählte, ein Meilenstein zum Grab. Mit 50 war man alt, obwohl Udo Jürgens damals schon sang „Mit 66 Jahren da fängt das Leben an“.

Heute gehört man definitiv zur jüngeren Generation in diesem Alter. Alles ist noch möglich: ein neues Leben anzufangen, eine Sportart zu erlernen, den Beruf zu wechseln, mit dem Rucksack eine Weltreise zu unternehmen, die Liste ist lang und verlockend. Ich jedenfalls fühlte mich jung und abenteuerlustig.

Mein 50. Geburtstag sollte meine Liebe zum afrikanischen Busch widerspiegeln. Ich plante eine Safari im großen Stil, sah mich am Sand River am Lagerfeuer sitzen, umgeben von meiner Familie und Freunden. In meinem Kopf war das alles schon bis ins Detail geplant und organisiert.

Nur wollte niemand mitmachen.

Drei Monate vorher war ich in der Masai Mara brutal überfallen worden. Meine Freunde und ich konnten von Glück reden mit dem Leben davongekommen zu sein. Die eingeladenen Geburtstagsgäste schüttelten nur den Kopf vor so viel Unvernunft, gerade dort wieder meinen Geburtstag feiern zu wollen. All meine Überredungskünste fruchteten nicht. Trotzig wollte ich jegliches Feiern absagen, als mir der Zufall zu Hilfe kam.

Ein Freund, der eine Wild Farm außerhalb Nairobis leitete, bot an, dort das Ranger’s Camp zu nutzen. Eine wunderbare Idee! Das Camp lag mitten in der Athi River Ebene mit Blick auf die blaue Kette der Ngong Berge. Es gab Toiletten und Waschräume, Stromanschluss sogar, und die Umzäunung war weit genug entfernt, um den Eindruck von Wildnis zu erzeugen.

Am 30.12. bauen wir unsere Zelte auf und treffen uns für einen Sektempfang unter einem schattenspendenden Schilfdach. Giraffen, Zebras und Antilopen ziehen ruhig grasend vorbei, fast wie im „echten“ Busch! Meine 2-jährige Enkeltochter Paula kräht am nächsten Morgen vor meinem Zelt: „Häppi Bürste, Häppi Bürste!“ Was für ein Auftakt zu einem unvergesslichen Geburtstag! Familie und Freunde sind bei mir, was will ich mehr?

Der Frühstückstisch, mit zyklamroten Bougainvilleablüten geschmückt, biegt sich unter der Last diverser Köstlichkeiten und Geschenken. Wie schön das Leben sein kann!

Wir machen uns zu einem Spaziergang auf. Die unendliche Weite der Savanne, die flirrende Sommerhitze lässt die Konturen verschwimmen. Die trockenen, hüfthohen Gräser streichen sanft an den Beinen entlang, teilen sich plötzlich vor mir. Der zahme Gepard der Farm entschließt sich uns ein Stück des Weges zu begleiten. Laut schnurrend läuft er eine Weile neben mir her, dann taucht er wieder in das wogende Gras ein.

Später, nach einem vorzüglichen Abendessen, werde ich im wahrsten Sinne des Wortes „besungen“. Meine Freunde haben bekannte Schlager und Gassenhauer liebevoll auf mich umgetextet und tragen diese im Kabarett-Stil vor.

So gefeiert zu werden macht mich glücklich und dankbar. Von wegen Meilenstein zum Grab! Die nächsten 50 können kommen!

© Evelyn Weyhe 2021-07-13

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