von handzahm
Der erste Schnee. Man riecht förmlich, wie das kalte Weiß die Luft reinigt und der Atmosphäre einen gewissen Zauber verleiht. Jedes Jahr wieder.
Unser Kater, dessen erster Winter das ist, ist noch etwas skeptisch, stellt die Nackenhaare auf und macht sofort wieder kehrt, als ich ihn zum morgendlichen Rundgang nach draußen entlassen möchte.
Das amüsiert mich und macht mich irgendwie glücklich. Ich zieh nicht den Schwanz ein, wie unser Kater und werfe mich in Schale. Zwiebellook ist angesagt. Wobei ich überrascht bin, dank der dicken Nebeldecke ist es nicht so kalt wie gedacht. Ich liebe dieses Gefühl, wenn es draußen kalt ist, man spazieren geht und bald der ganze Körper warm wird. Zieh mir sogar die Handschuhe aus und genieße die Wärme meiner Hände.
Es ist noch ruhig. Ein paar Autos fahren vorbei, aber zu Fuß ist kaum jemand unterwegs. Ich gehe eine meiner Liebelingsrunden, die mich zunächst durch den magisch, leicht verschneiten Wald führt, dann am Fluss entlang und zum Schluss über einen breiten, schneebedeckten Wiesenweg.
Noch keine Fußstapfen. Ich bin die Erste.
Noch immer fasziniert es mich, die Spuren im Schnee zu betrachten. Wie damals vor etwa 25 Jahren. Ich hab es einfach geliebt völlig tief in mir versunken durch den Schnee zu stapfen, der mir damals noch bis zum Bauch reichte. Ist auch heute noch so, nur das meist bei den Knien Schluss ist mit Schnee.
Ich wundere mich, warum sich alle anderen dieses Schauspiel entgehen lassen und ich ganz allein auf weiter Flur bin. Müsste doch eigentlich jeder draußen sein und die frische Luft des ersten Wintertages inhalieren, aber Fehlanzeige. Schritt für Schritt merke ich, wie sich neben meiner Lunge auch mein Geist über die reine Luft freut und sich auch allmählich zu klären beginnt.
Soviele Gedanken in den letzte Wochen und Monaten. So viel passiert in so kurzer Zeit, da kommt meine Seele manchmal einfach nicht mit. Mir scheint, dass sie sich dann manchmal aus dem Staub macht, wenn es ihr im Außen zu viel wird. Erst wenn wieder Ruhe einekehrt merke ich, wie es mir wieder warm ums Herz wird und sich Ruhe und Frieden in meinem Inneren ausdehnen.
Ruhe und Stille. Im Innen und Außen. Meditativ stapfe ich durch den Schnee, bis sich der Wiesenweg wieder mit dem asphaltierten Gehweg verjüngt und mich die Feuerwehrsirene aus meinem Wachschlaf reißt.
Gut, hallo Leben, du hast mich wieder zurück. Back to life, back to reality. Die kostbaren Glücksmomente in meinem eigenen Universum sind vorbei.
Als ich bei meinen Nachbarn vorbeigehe, sehe ich die kleine Nachbarstocher im Schnee spielen. Sie stapft hin und her und freut sich über ihre Fußabdrücke im frischen, glitzernden Weiß. Als sie mich sieht und bemerkt, dass ich sie beobachtet habe, grinst sie leicht verlegen, sagt Hallo und spielt ungeniert weiter.
Ich schmunzle ebenso in mich hinein und wende mich meiner Haustür zu.
Die Lektion des Tages lautet somit: Tritt nie in die Fußstapfen anderer, sonst kannst du keine eigenen hinterlassen. :)
© handzahm 2020-12-03