Gabelsberger-Gedenkschreiben

Annemarie Baumgarten

von Annemarie Baumgarten

Story
Jena 1994

Marit Keller wollte uns bei Anneliese abholen. Ich sollte mich am Vorabend bei ihr einfinden und dort schlafen. Am 11.2.94 rief mich Anneliese auf der Arbeit an. Marit sei krank, könne uns weder fahren noch teilnehmen und schlug vor, zu mir zu kommen. Ich holte sie 19.30 Uhr vom Bus ab. Da ihr Vorschlag, bei mir zu übernachten, überraschend kam, hatte sie sich belegte Brote mitgebracht, um mir keine Arbeit zu machen. Wahrscheinlich kannte sie meine Lebensmittelreserven: Es gibt da Leute, die sind so arm, da kommen sogar die Mäuse verheult aus dem Kühlschrank. Sie übernachtete auf dem Sofa. Wie sie da, ohne es auszuklappen, geschlafen hat, ist mir ein Rätsel. Die Liegefläche war höchstens 150 cm lang und ziemlich schmal. Sie wollte es so, nur eine Sofadecke, kein Bettzeug. Wenn ich gelegentlich Mittagsschlaf hielt, bekam ich Probleme, weil ich die Beine nicht richtig ausstrecken konnte. Ich ging ins Bett, fand kaum Schlaf, hätte auch aufbleiben können. Am Morgen fühlte ich mich miserabel. 4.30 Uhr gingen wir an diesem Sonnabend, 12.2.94, aus dem Haus, die Zugverbindung war sehr schlecht. Wir trafen etliche Discogänger, die sich auf den Heimweg begaben. Im Zug hielt ich die Augen öfters geschlossen. Eine Station vor Jena mussten wir erneut umsteigen. In Jena gibt es den West-, Paradies- und Saalbahnhof. Anneliese sagte, auf welchen wir müssten. Zur Wettkampfstätte war es doch nicht der nächstgelegene. Wir benötigten ein Taxi. Der Fahrer war sehr freundlich. Anneliese bezahlte, ließ sich eine Quittung geben. Es stellte sich heraus, dass es auch gereicht hätte, wenn wir später eingetroffen wären.

Drei Tage nach dem 205. Geburtstag Gabelsbergers fanden sich 30 „Schreiberlinge“ aus zehn Vereinen ein. Austragungsort war ein altes, romantisch verwinkeltes Gemäuer im Stadtteil Lobeda, Sitz der Euro-Schule. Einer Broschüre entnahm ich, dass dort Euro-Sekretärinnen ausgebildet werden. Das schließt Fremdsprachenunterricht ein; außerdem Gaststättenpersonal, u. a. die Kellner-Lehrlinge, die uns bedienten. 9 Uhr Veranstaltungseröffnung im Restaurant der Euro-Schule. Gustav Kelch, ein älteres Mitglied des Jenaer Vereins, zu DDR-Zeiten Vorsitzender des GSM-Kreisverbandes, trug etwas zur Ehrung Gabelsbergers vor. Danach waren Maschinenschreibwettbewerbe angesetzt. Wir waren dafür nicht angemeldet. Viele Stenografen kamen erst nach der offiziellen Eröffnung. Sie hatten keine andere Reisemöglichkeit gefunden. 10.30 Uhr Kurzschrift, um den Maschinenschreibern eine Teilnahmemöglichkeit zu geben: Ab 160 Silben – Überraschung! Ansager: Horst Wippich. Ich hatte mich gefreut, ihn mal wieder zu sehen. Im Vorfeld der Ansage ab 250 Silben lag die Bürde des Trainings bei Konrad Weber als „Diktator“, der sich auf 10 Minuten eingerichtet hatte. Unter hervorragenden Bedingungen versuchten 3 jüngere Leipziger, ihr Können bis zur 9. Minute zu nutzen. Gabelsberger hätte sich gefreut. Die Aufnahme muss verborgene Tücken gehabt haben; etliche Minuten wurden gestrichen.


© Annemarie Baumgarten 2024-07-08

Genres
Biografien
Stimmung
Herausfordernd