von NeleChryselius
Nun hat es also auch die Gänse erwischt. Nein, nicht die Vogelgrippe. Vielmehr werden sie von derselben Pandemie “bedroht” wie wir Menschen. Während wir besorgt die Infektionszahlen verfolgen und steigende Todesraten befürchten, bleiben die Gänse am Leben, weil die Gaststätten geschlossen sind. Anstelle des ins Ei gelegten Schicksals, nach 20 – 28 Wochen ihr Leben zugunsten des St.-Martinsbrauchs zu opfern, müssen sie weiterleben. Ob sie des Lebens froh sind – wir wissen es nicht. Was wir hingegen wissen: Ihre Züchter sind in Not. Wohin mit den tausenden überflüssig großgezogenenTieren, wenn es kalt wird? Wenn die Halter nicht bald eine Lösung finden und das Federvieh in Ställen unterbringen können, werden den Gänsen die Füße erfrieren.
Was sagt der Tierschutz dazu?
Die Bauern hoffen nun auf Weihnachten, da sollte sich der eine oder die andere zu einem Solidaritätsgänsebraten entschließen – “leider” zulasten anderer Festtagsbraten. Nur Veganer und Vegetarier wären von dieser Verpflichtung ausgenommen. Noch. Vielleicht wird ja kurzfristig noch eine Gänseabnahmepflichtverordnung erlassen, um den Gänseberg bis Weihnachten abzubauen. Danach wird es eng: Ende Januar müssen die Gänse unweigerlich geschlachtet sein, sonst werden sie zu fett und ungenießbar für die verwöhnten Gaumen und Mägen.
Dann könnte eine Gänseschmalzabnahmepflichtverordnung greifen, die allerdings nur sinnvoll wäre, wenn Mehl und Hefe in ausreichenden Mengen zur Verfügung stünde, um das Brot für die Schmalzstullen backen zu können. Und bitte die Daunenjackenpflichtabnahmeverordnung nicht vergessen, jede Jacke zählt, um eine Existenz zu retten!
Angesichts dieses Dilemmas möchte man doch auf jede Gänsewiese rufen: “Auf, ihr Gänse, macht es wie die Bremer Stadtmusikanten! Etwas Besseres, als ein unerwünschtes Dasein findet ihr überall!” Wenn ihr fleißig übt, kann aus eurem Geschnatter ein passabler Gesang werden und ihr erobert die ohnehin leeren Konzertbühnen. Und wenn ihr unterwegs an einem Karpfenteich vorbeikommt, bringt den armen Schicksalsgenossen ein Ständchen, denn sie sind die nächsten, die nicht gebraucht werden. Auch der Konsum von Karpfen ist bedrohlich rückläufig. Gänse und Karpfen “To go” sind wohl nicht so beliebt. “Was soll auch der Quatsch”, würde Großmutter Chryselius selig sagen, “Man muss die Viecher ja auch nicht aus Afrika importieren.”
Nein, nicht lustig, unter welchen Bedingungen Menschen und Tiere gerade leben. Im Ernst: Ich hoffe, dass viele von uns bereit sind, nicht nur zu hadern, sondern auch anders weiterzuleben.
© NeleChryselius 2020-11-18