von Florian Puckmayr
Meine Tante Anna. Sie sollte den kleinen Bauernhof übernehmen. Es kam anders. Mit sechzehn Jahren Lungenentzündung. Sehr ernst. Meine Großeltern verzagt. Meine gesunde Mutter bekam den Hof. Meine Mutter heiratete meinen Vater. Tante Anna musste ausziehen. Arbeit. In Linz. Die Hermann Göring Werke. Büroarbeit. Mit nur wenig Geld. Meine Eltern hatten sie »ausgesteuert«. Sie bekam eine Wohnungseinrichtung. Eine Wohnung. Eine Personalwohnung … in der nahen Spinnerei. Sie wurde Arbeiterin in der Spinnerei, sie zog ein. Sie starb darin. Der Krieg, die Bomben. Auch die Spinnerei bekam Treffer ab. Das Personalhaus blieb stehen. Meine Tante war sehr lebenslustig. Sie spielte Zither und tanzte gerne. 1945. Endlich Ruhe von oben. Die Stadt wurde lebendig. Die us amerikanischen Soldaten hatten Geld, Zeit, Lust auf Tanzen und mehr. Sie lernte einen Soldaten mit asiatischen Gesichtszügen kennen. Sie wurde schwanger. Der Soldat verschwand in die USA. Sie musste zurück in ihr Elternhaus. Sie gebar ein entzückendes Mädchen, meine Cousine Elfi. Nach einer kurzen Rekonvaleszenz zog sie mit ihrem Kind wieder in die Vorstadtwohnung. Sie nahm ihre Schichtarbeit wieder auf. Kinderbetreuung? Früh musste das Kind in den Hort. Elfi lernte singen. Ihre einzige Freizeitgestaltung, Tante Anna und Elfi kamen oft zu Besuch. Zu Weihnachten, im zweiwöchigen Urlaub. Getreideernte, meine Eltern warteten schon auf ihre geübten Hände. Elfi und Tante da. Ein Tollhaus, denn meine Eltern waren immer fleißig, aber langweilig. Tante Anna sang, meine Cousine sang.
Meine Tante parodierte z.B. das Deutschlandlied.
Deutschland, Deutschland über Arbeit, über Arbeit und nicht mehr. Alles, was du hast versprochen, kam nicht und nicht daher – nur die Arbeit, die du gabst, wurde immer, immer mehr.
Meine Cousine sang die Schlager der Zeit, die ich kaum kannte. Meine Eltern nutzten das Radio nur, um den Wetterbericht zu hören. Anders, wenn Tante da war, da purzelten die Lieder aus dem Radio heraus.
Eines Tages kam meine Tante mit einem weiteren Kind angereist. Es war leicht behindert, auffällig ruhig und unbeholfen. Außer meine Eltern kümmerten sich keine Verwandten um Tante Anna und ihre Kinder. Die katholischen Verwandten mieden die Sünderin.
Ich mochte meine Tante. Ich musste in ein Internat einziehen. Auf dem Weg dorthin plante ich einen Besuch bei meiner Tante in Ebelsberg ein. Ich kannte mich aus. Vom Knoten Blumau ging es mit der Elektrischen eine Ewigkeit nach Ebelsberg hinaus. Ich hatte nie Geld. Ich stieg ohne Fahrschein ein. Fahrscheine bitte! Ich habe keinen. Kostet …. Ich habe kein Geld. Wohin? Zu Tante Anna in Ebelsberg. Ohne Fahrschein? Geld? Meine Eltern geben mir keines. Dann aussteigen! Ich wartete auf die nächste Tram und stieg wieder ein. Das Ereignis wiederholte sich. Tante … Kleingeld. Ich genierte mich.
Überrascht … die Tante sei zu Bett gegangen und am Morgen tot im Bett gelegen. Herzinfarkt. 30 Jahre Schichtarbeit … für sie genug, oder zu viel!
© Florian Puckmayr 2021-01-20