Geburtstagsbrief an Frau K.

Theodor Leonhard

von Theodor Leonhard

Story

Liebe Frau K.

Zu Deinem Geburtstag, der in diesem Jahr wieder einmal auf Pfingsten fällt, schreibe ich Dir gerne einen Brief.

Wie alt wirst Du? Du gehörst ja inzwischen zu den reiferen Semestern. Sehr viel könntest Du aus Deinem Leben erzählen.

Ich selbst kann im wahrsten Sinn des Wortes ein Lied davon singen, was ich Dir verdanke. Von Kinderbeinen an warst Du oft um mich herum. Unschätzbar viel habe ich von Dir und durch Dich gelernt. Mein Berufsleben ist ohne Dich gar nicht denkbar.

Zwar liebe ich Dich nicht wie meine Frau und meine Kinder. Aber ich habe ein Herz für Dich. Zwar bist Du für mich nicht so wichtig wie unser gemeinsamer Chef. Aber ohne Dich will ich nicht sein.

Nicht nur an Deinem Geburtstag will ich ehrlich zu Dir sein. Manchmal möchte ich auch klagen über Dich. Das hast Du mir ja schließlich beigebracht, das ein ehrliches Wort immer besser ist, als eine verlogene Schmeichelei. Daran will ich mich halten. Aber halt, Du weißt schon selbst, was an Dir beklagenswert ist. Das muss ich Dir nicht vorwurfsvoll ausgerechnet zum Geburtstag unter die Nase reiben. Ich verpacke meine Gedanken in die Wünsche, die ich für Dir sagen will.

Das wünsche ich Dir, dass Du bei Deiner Liebe bleibst. Du hast das große Glück, dass Du eine sehr geliebte Frau bist. Dein Chef ist Dein in Dich hoffnungsvoll vernarrter Liebhaber. Er schaut Dich so oft mit diesem gewissen Blick an. Fast kann man das Gefühl bekommen: Er hat sich schon in Dich verliebt, bevor Du geboren warst. Ist mein Eindruck richtig, liebe Frau K., dass Du manchmal genau diese Liebe aufs Spiel setzt, wenn Du Dich nur um Dich selbst drehst. Vielleichtaus Angst, Du könntest zu kurz kommen. Vielleicht aus Stolz, weil es Dir schwerfällt. Dich beschenken zu lassen. Lass Di liebhaben. Du tust Dir damit selbst und den Menschen um Dich herum den größten Gefallen.

Mehr Freiheit wünsche ich Dir. Oft erlebe ich Dich so furchtbar beherrscht. Ich weiß dann gar nicht richtig, was Du fühlst. Herzhaftes Lachen hörst Du nicht immer so gern. Da fehlt Dir die Ernsthaftigkeit, sagst Du manchmal. Wenn Menschen weinen, akzeptierst Du es vielleicht irgendwie. Aber Du lässt sie spüren, dass sie eigentlich stark sein sollten. Dass Dein Chef es praktiziert, mit den Fröhlichen zu lachen und mit den Traurigen zu weinen, das regt Dich nicht sehr oft zur Nachahmung an.

Noch einmal wünsche ich Dir mehr Freiheit. Du willst in der Öffentlichkeit gerne ein makelloses Bild abgeben. Fehler zuzugeben, die Dir unterlaufen sind, das ist nicht gerade Deine Stärke. Gar Versagen einzugestehen, für das Du verantwortlich bist, da windest Du Dich nur allzu gerne. Dabei würde Ehrlichkeit im Versagen und die Offenheit, Fehler zu riskieren, Deinem Leben mehr Leichtigkeit und Deinem Gesicht mehr Menschlichkeit verleihen. Versuch also nicht so furchtbar perfekt zu sein.

Ich gratuliere Dir sehr herzlich zu Deinem Geburtstag, liebe Frau Kirche. Ich wünsche Dir Gottes Segen und beim Feiern keine so harten Kirchenbänke.

Dein Freund Theo

© Theodor Leonhard 2021-05-20

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