Gedanken danach

Nachdem Du fort warst, schien so Vielem sein Sinn genommen worden zu sein. Nachträglich. Nicht in den Momenten, in denen es geschehen war. Aber jetzt im Nachhinein, wo doch alles umsonst scheint.

Als alle trauerten, dass Du fort warst, hatte ich das Gefühl, mich aufzuspielen. Als trauerte ich nur, weil andere es von mir erwarteten. Ich hatte kein Vertrauen, dass mein Schmerz echt war. Vielleicht spielte ich mich nur auf. Und vielleicht hatte ich gar kein Recht, zu trauern, wie die anderen. Kannte ich Dich gut genug, um Dich zu vermissen? Empfand ich Deinen Verlust oder nur den Verlust dessen, was Deine Abwesenheit mir genommen hatte?

Oft hatte ich das Bedürfnis Dir zu schreiben, um zu sehen, ob wirklich keine Antwort mehr kommt. Nie habe ich Dir geschrieben, um die Illusion nicht zu zerstören, Du könntest Dich melden. Mein Tagebuch liegt unberührt seit Monaten, weil ich mich auf der letzten Seite noch um Dich sorge. Wer weiß, wann ich es über mich bringe, den Tag Deiner Beerdigung zu schildern.

So viele Stunden durchlebe ich – Stunden, an denen Du hättest Teil haben sollen. Die Leere an Deiner Stelle macht mir Angst. Ich glaube an Schicksal. Doch es fühlt sich an, als hättest Du das Schicksal kaputt gemacht, weil Du Dich aus der Gleichung entfernt hast, die ohne Dich nicht funktioniert.

Immer wieder hatte ich das Gefühl, so Vieles versäumt zu haben. In einer vernetzten Welt glauben wir, man könne alles jederzeit sagen, jederzeit fragen, jederzeit nachholen. Was fangen wir mit unseren Händen voll ungelegter Taten an, wenn die Zeit für sie endgültig verflossen ist?

Trauern bedeutet so viel mehr, als nur Vermissen. Schuld, Reue, Zweifel, Wut, Hoffnungslosigkeit, Unverständnis, Missverständnis, Angst… In Trauer hinterfragen wir Erinnerungen, die Trost spenden könnten.

Ich erinnere mich, Dir einmal gesagt zu haben, wie dankbar ich für Deine Einladung war. Und egal an wie vielen Stellen ich es versäumt habe, Dir zu erklären, wie gut Du getan hast – dieses eine Mal tat ich es. Das ist viel wert, auch wenn es heute nur noch meine Erinnerung ist. Vielleicht hat es Dich damals gefreut. Vielleicht war es ein kleines Puzzle-Teil, das im richtigen Bild mehr hätte bewirken können.

Vielleicht wäre es auch Dir eine liebe Erinnerung gewesen. Wenn Du länger geblieben wärst, um Dich zu erinnern.