von Gabriele Leeb
Es ist bald Sommer. Doch für mich fühlt es sich schon nach Herbst an. Nach einem dieser rauhen Herbsttage, wo der Wind bläst und es leicht nieselt und die Blätter fallen. Man will nicht vor die Türe gehen, man will sich im Bett verstecken und verkriechen. Es liegt dieser Modergeruch in der Luft und ein Hauch von Vergänglichkeit.
Rotgeweinte Augen blicken mich vom Spiegel an und der Kopf dröhnt. Ich hinterfrage gerade meine Beziehung zu dir, die ja eigentlich nicht einmal ein Verhältnis ist. Sie besteht aus wundervollen Worten und Leidenschaften, doch die Substanz ist bröckelig und so filigran. Ich habe geglaubt, dieses Geflecht aus Lust und Sprache würde genügen, doch es haben sich so viele Gefühle dazugesellt, die alles so schwierig machen und so viele Sorgen um die Gesundheit haben. Ich hasse Lügen, Heimlichkeiten und Verstecken spielen. Ich habe niemanden zum Betrügen, nur mich selbst betrüge ich mit dir. Das alles schränkt meine Freiheit ein. Ich bin für Offenheit. Ich genieße dich mit allem, was ich habe, und doch laufen mir Tränen hinab. Was wollen sie mir sagen? Ich bin es leid zu warten, bis ich dein ok bekomme und dir schreiben kann, ich will dir meine Worte schenken, wenn mein Herz übergeht, nicht irgendwann, sondern immer!
Ich habe über zwanzig Jahre alleine gelebt und ich habe es geschafft, mich von dieser toxischen Beziehung meiner Ehe zu befreien und selbstbewusst ein eigenständiges Leben zu führen und ich habe mich auf meinen Besen gesetzt und bin wieder geflogen. Und es war gut so und ich bin nicht bereit dazu, mich hinter dich auf deinen magischen Besen zu setzen. Jeder hat sein eigenes Fluggerät und ich bin gleichberechtigt und wir fliegen nebeneinander und außerdem habe ich so viel mehr verdient, als du mir geben kannst und willst!
Und eigentlich will ich nur in deinen Armen liegen und deine Küsse spüren und dich nie wieder loslassen. Doch Träume werden nicht immer wahr und es hat den Anschein, als färbten sich die Schneeflocken schon rosa.
© Gabriele Leeb 2022-06-10