von Cha
Wie konnte sie nur in dieser Situation gelandet sein? Das waren Millis erste Gedanken an diesem eigentlich schönen sonnigen Morgen. Doch in ihr machte das Wetter schon lange keinen Unterschied mehr. Das bisschen, das von ihr übrig geblieben war, war dunkel und trüb.
Jetzt musste sie sich erstmal für die Arbeit fertig machen. Müde schleppte sie sich ins Bad. Ihre Schicht würde gleich beginnen und sie musste sich noch zurechtmachen. Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre Befürchtung: Sie war ein Haufen Arbeit.
Aber es nützte alles nichts. Er erwartete guten Umsatz und dafür musste sie vorzüglich aussehen und nicht vergessen immer lächeln. Als ob sie auf einem Pferdemarkt wäre, wo man dem Gaul erst ins Maul gucken musste. Sie sah schrecklich aus, wie sollte sie das hinbekommen? Milli zog sich Dessous, Nylons und High Heels an, ihre Dienstkleidung. Schließlich wollten die Freier keine Hausfrau in Badelatschen, sondern heiße und immer willige Stuten. Ob die Idioten den Mist wirklich glaubten? Sie zog eine Nase, ihre erste für heute, zum Klarkommen. Anders konnte sie die Typen nicht ertragen und schon gar nicht die Nymphe spielen.
Warum war sie eigentlich hier? Wie kam es so weit, dass eine 20-jährige hübsche Medizinstudentin, die sie vor zwei Jahren noch war, nun hier im Bordell arbeitete? Und mehr als 90% ihres Umsatzes an ihn und die Drogen verlor? Er roch die Zweifel, denn immer, wenn sie anfing nachzudenken, wie sie so tief fallen konnte, war er wieder ganz der aufmerksame liebevolle Mann, den sie vor zwei Jahren kennen und lieben gelernt hatte. Sehr langsam hatte er sie nach und nach gefügig gemacht bis sie den Bezug zur Realität verlor und irgendwann Stammbesetzung im „Gentlemensclub“ war. Was für ein Scheiß Name, dachte sie sich. Das sind keine Gentlemen, das sind Freier, die sie ausbeuten, und denen alles außer ihrer Lust egal ist.
Sie wusste es besser, ja natürlich, sie war Scheiße intelligent. Und doch war sie hier und sah so aus und machte diese ekelhaften Sachen mit. Und warum? Für ihn? Warum schaffte sie es nicht einfach zu gehen? Sie hatte doch alles, ihren Ausweis, ein bisschen Geld. Doch wohin sollte sie? Jeder wusste Bescheid. Sie war ein gefallener Engel. Sie schämte sich. Er war der einzige, den sie noch hatte. Zumindest glaubte sie das. Doch sie spürte ihren Zerfall, und das mit Anfang 20. Jeden Tag in dieser Hölle starb sie ein klein bisschen mehr.
Milli holte ihr Portmonee und zog eine Visitenkarte raus. Aylin Meyer, Streetworkerin. Sollte sie anrufen?
© Cha 2025-05-05