von Leonie Oestreich
Er starrt mich an. Ich will nicht, dass er mich anstarrt.
Er wartet. Seine Finger klopfen zu einem bestimmten Rhythmus auf dem neuen Esszimmertisch herum.
Er wird es nicht verstehen. Ich zittere.
Hör zu, ich will doch einfach nur kapieren, wie ich dich verletzt haben könnte, sagt er. Er sieht hilflos aus. Ein schlechtes Gewissen meldet sich in mir und ich kneife meine Augen zusammen.
Glaubst du wirklich, ich sage freiwillig nichts? Die einzige Person, die mich verletzt, bin ich selber.
Innerlich schreie ich. Für einen kurzen Augenblick von wunderschönen Momenten habe ich wirklich geglaubt, es würde funktionieren. Er weiß nicht, wie schwer es für mich ist, sich jedes verdammtes Mal auf ein Treffen mit ihm einzulassen. Er weiß nicht, wie ausgelaugt und halbtot ich jeden Abend zu Bett gehe, wenn er mich mal wieder unter die Leute bringen wollte.
Ihm ist nicht bewusst, dass seine Freunde mich nicht mögen. Ich sei zu unlustig für ihre Spielchen, sagen sie. Scheiß Scheinwerferlicht , denke ich.
Ein langsam schüttelnder Kopf meinerseits reicht, er stöhnt. Du machst wieder dicht, oder? , fragt er. Nein, ich möchte nur nicht darüber reden, lüge ich. Er merkt nicht, wie sehr ich mit mir kämpfe. Dafür schauspielere ich leider zu gut.
Sanft streichelt er meinen Rücken, dann wendet er sich von mir ab. Ich bin für dich da, murmelt er. Ich will ihm glauben, wirklich. Trotzdem verreckt mein Herz qualvoll weiter. Wir reden später nochmal, okay? , fragt er. Seine Stimme klingt deutlich genervt, die Worte wirken wie herausgepresst und tot.
Es wird kein später geben. Ich nicke dennoch.
Mein Hals ist trocken, als ich seine Wohnung verlasse. Der stürmische Wind vor seiner Haustür trocknet meine feuchten Augen.
Kurz vergesse ich, was eben geschah und … fühle mich frei.
Dann kommen die verdammten Gedanken wieder und ich bin so wie immer.
Gefangen.
© Leonie Oestreich 2023-06-11