von Julia Heckmann
Die Folge meiner unzähligen Hoffnungen waren nur Enttäuschungen. Doch am meisten enttäuscht bin ich von mir selbst. Es macht einen traurig, nichts ändern zu können. Es macht einen verrückt zusehen zu müssen. Ich bin bereits verrückt geworden. Genau deshalb bin ich hier, weil ich mit meinem Leben und der ganzen Welt nicht mehr klarkomme. Vielleicht bin ich verrückt, doch vielleicht auch eine der einzigen wenigen, die nicht verrückt sind. Ein kluger Mann sagte einmal, dass die wahren Verrückten außerhalb der Anstalten sind. Sie laufen frei herum und genau das ist einer der Gründe, warum unsere Gesellschaft so kaputt ist. Die Gesellschaft sperrt alle ein, die zu viele Fragen stellen, und dann heißt es: wir wären verrückt. Man kann durch eine Straße voller Menschen laufen und dennoch ist man allein. Man schaut in die Augen dieser Menschen, doch ihre Blicke sind leer. Die Menschen fühlen und denken nicht mehr. Es wird nicht mehr auf die wahre Liebe gewartet, für die einen ist der erstbeste Mensch gut genug und die anderen suchen nur nach jemandem, den sie ertragen können. In Freundschaften steht man sich nicht mehr zur Seite, es geht nur noch darum, wen man am besten ausnutzen kann und wer einem am meisten nützt. Die Familien, die sich schon lange nicht mehr wie Familien verhalten, sind nur noch Mittel zum Zweck. Meine Familie hat mich hier untergebracht, weil sie dachten, ich würde Hilfe brauchen und weil sie einfach nicht mehr mit mir klarkamen. Aber ich bin nicht die, die Hilfe benötigt. Die Welt benötigt Hilfe. Sie dachten, mit mir stimmt etwas nicht, weil ich nie das tun wollte, was die Welt von mir verlangte. Ich wollte Gründe und einen Sinn. Doch das war zu viel verlangt. Ich wollte nicht stumpf funktionieren, wie der Rest von euch Heuchlern. Ich bin nur müde vom Leben, müde vom Atmen, das alles macht, mich fertig und müde. Doch das schlimmste ist immer noch zu wissen, dass man nichts ändern kann. Alles belastet mich, weil ich weiß, dass ich zuschauen muss. Ich weiß, ich habe keine andere Wahl. Unsere Welt ist nicht perfekt; das war sie noch nie. Doch wir könnten mit ihren Ecken und Kanten wachsen, statt sie weiter auszubeulen. Das tun wir nicht. Warum? Das weiß wahrscheinlich keiner. Und deshalb bin ich hier. Müde vom Leben. Müde von mir. Müde von euch. Es ist eine erstickende Müdigkeit, die selbst nach zwölf Stunden Schlaf nicht verschwindet.
© Julia Heckmann 2022-05-05