Gefühlschaos

Yuria

von Yuria

Story

Schon seit meiner Kindheit sind meine Gefühle ein Klumpen. Wie bei einer Matschkugel, einem gewöhnlich aussehenden Stein oder einem Überasschungsei, kann man nicht erkennen, was der Kern des ganzen ist. Mir fehlt es an Spitzhacken, Werkzeugen und der Geduld, den Kern zu entschlüsseln und so gehe ich mit einem unbestimmbaren Gefühlschaos durch das Leben. Seit meiner Kindheit fällt es mir schwer, die Gefühle der anderen zu erkennen. Ich wusste lange nicht, dass Emotionen durch Mimik und Gestik ablesbar sind, weswegen ich nie lernte, meine Gefühle, welche sowieso nur ein Chaoshaufen sind, zu zeigen. Mein ganzes Leben schon laufe ich mit einem Pokerface herum, welches unbestimmbar für die anderen ist und die anderen Menschen abschreckt. Ich habe es nie bemerkt. Schließlich wirkten die Gesichter der anderen ebenfalls immer stumpf und emotionslos. Da ich nun also nie Emotionen erkannt habe, kann ich auch jetzt nicht wirklich die Emotionen erkennen und nicht einmal bei mir zuordnen. Ich brauche jemanden, der mir sagt, wie ich mich fühlen muss, um auch so fühlen zu können. Durch diese Ungewissheit neigt der Klumpen Matsch zu groß zu werden, bis er auseinander bricht. Früher sagten die Leute, dass ich überreagiere und Wutprobleme habe, heute nenne ich es Meltdown. Um mich herum herrscht nie Stille. Schon seitdem ich klein bin, kann ich eine Maus im Wald quietschen, jeden Stift, der auf Papier aufdrückt im Klassenraum und sogar Insekten über Plastik laufen hören. Ich dachte, das wäre normal, bis mir gesagt wurde, dass das Gehirn eigentlich einen eingebauten Geräuschfilter haben sollte. Die ganzen Hörverstehenaufgaben, die mit Baustellen- und weiteren Hintergrundgeräuschen geschmückt sind, konnte ich nie verstehen. Jeder beschwert sich über die Hintergrundgeräusche, aber dennoch hat jeder wenigstens etwas verstanden. Ich jedoch nicht. Ich dachte, ich wäre dumm und könnte gar nichts, aber heute weiß ich, dass es nichts mit meiner Intelligenz zu tun hat, sowie die Meltdowns nichts mit Aggressionen zu tun haben. Ich bin nicht dumm, ich bin nicht aggressiv, ich bin autistisch. Mit dieser Erkenntnis macht nun alles Sinn. Ich habe Probleme, Metaphern und Ironie zu verstehen, kann Geräusche nicht filtern, werde das auch niemals können. Ich kann keine Emotionen bei anderen erkennen und verstehe gewisse Emotionen anders. Schon seit der weiterführenden Schule werde ich ausgegrenzt, weil ich Probleme habe, meine Emotionen wie Neurotypen zu zeigen. Ich hasse es, Einkaufen zu gehen, weil es dort so viele verschiedene Geräusche gibt, dass ich Panikattacken bekomme. Mein ganzes Leben wird erklärt durch eine Diagnose. Eine Diagnose, die mir hilft, mein Leben besser leben zu können.

© Yuria 2022-07-12

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