von Flonie
Ich schaue meinen lieben Freund Leopold an. Wir zwei kennen uns schon seit unserer Kindheit. Wir treffen uns unregelmĂ€Ăig regelmĂ€Ăig. In einem bekannten italienischen Lokal warten wir auf unser Essen. Heute habe ich Risotto bestellt, ein guter Italiener warnt vor der Wartezeit von 20 Minuten. Ein Risotto braucht seine Zeit. Leopold hat sich eine Lasagne Forno bestellt und ist gerne bereit mit mir 20 Minuten zu warten, um gemeinsam zu essen.
Ich habe so viel zu erzĂ€hlen. Die letzten Tage war ich im Waldviertel bei einem Festival. Eine Theaterveranstaltung der besonderen Art. Der ganze Tag war befĂŒllt mit Szenischen Lesungen, TheatervorfĂŒhrungen, KĂŒchenlesungen und am Abend wurde ein Konzert zum Besten gegeben und zu guter letzt ein FeuergesprĂ€ch. Der Veranstalter hat nicht aufgegeben und dem Corona getrotzt. Die einzelnen AuffĂŒhrungen waren im Freien, die Besucher hielten respektvoll Abstand. Die VorfĂŒhrungen waren toll und ich wollte es meinem Freund Leopold erzĂ€hlen.
Ich beginne meine schwĂ€rmerischen AusfĂŒhrungen, wĂ€hrend wir auf das Essen warten. Er wischt am iPhone herum, rauf, runter, links, rechts. Ich stoppe mein ErzĂ€hlen. Ich warte auf seine Aufmerksamkeit. Nach gefĂŒhlten 3 œ Minuten schaut er auf. âKannst ruhig weiter reden.â Er hat das Wort âredenâ noch nicht ausgesprochen, wischte er schon wieder auf dem kleinen Bildschirm hektisch herum. Ich stoppe mein ErzĂ€hlen erneut. Ich warte bis er fertig gewischt hat. Ich möchte ihn nicht stören bei seiner wichtigen Arbeit, die seine volle Aufmerksamkeit braucht. âDu! Redâ ruhig weiter, ich schau da nur was.â Ich versuche erneut meine Euphorie des Theaterhimmels los zu werden. Mein GefĂŒhl lĂ€sst mich nicht los, dass ich in den gehörlosen Raum spreche, wie bei einem SelbstgesprĂ€ch. Die 20 Minuten sind endlich vergangen. Der Kellner stellt das Risotto und die Lasagne und jedem einen gemischten Salat auf den Tisch. Leopold erzĂ€hlt, dass ihm eine neue berufliche VerĂ€nderung bevorsteht. Er nimmt die angebotene Herausforderung als Team-Leiter an. Leopold erzĂ€hlt in einer Begeisterung wĂ€hrend des Essens. Ich freue mich ĂŒber seine Beförderung. Ich höre zu, denn sprechen wĂ€hrend des Essens ĂŒberlasse ich gerne anderen.
Nachdem der Kellner die leer geputzten Teller abgerÀumt hat. Wollte ich nochmals meine Geschichte vom Theater-Festival beginnen. Leopold ist wieder mit dem iPhone beschÀftigt und stellt auf Instagram ein Foto von seiner Lasagne Forno. Er lÀchelt in sein kleines GerÀt und hat sichtlich Freude.
Ich trinke mein Glas WeiĂwein in einem Zug aus. Ich nehme meine Handtasche, stehe auf und verlasse das Lokal. Leopold schreibt mir nach einer halben Stunde eine Nachricht: âBist du deppert? Gehst wortlos.â
Ich denke ĂŒber ErzĂ€hlen und Zuhören nach: Es kann sein, dass ich langweilig daherrede oder Langweiliges daherrede.
Leopold hat sich seither nicht mehr gemeldet auch ich mich nicht bei ihm. Ich warte, ich hoffe, ich glaube, dass wir wieder zusammen kommen.
© Flonie 2020-08-11