Geht Liebe durch den Magen?

Anatolie

von Anatolie

Story

Zwei Monate nach meinem Weggang von zu Hause fĂŒhlte ich mich in Portsmouth schon beinahe wie daheim. Nicht so in meinem „Ablegerzimmer“ bei Emma. Meine Landlady war wirklich ganz in Ordnung. Wir wurden jedoch nie so richtig miteinander warm. Miete zahlen und gleichzeitig gut Freund mit jemandem sein, das passt wohl nicht so recht zusammen. Viel lieber verbrachte ich meine gesamte Freizeit mit Haris in seiner WG und ging nur hin und wieder zum Schlafen heim.

Mit dem PĂ€rchen aus Zypern verstand ich mich blendend. Oft stand ich mit Anthi zusammen in der KĂŒche wĂ€hrend sie Pasta oder Bratkartoffeln rĂŒhrte, und dann tratschten wir ĂŒber dies und das. Schwieriger war das VerhĂ€ltnis zu Sarah, der Studentin aus Manchester. Wann immer ich fĂŒr Haris und mich etwas kochen wollte, stand schon sie am Herd und hantierte mit ihren Pfannen. Aber im Gegensatz zu Anthis warmen Wesen wirkte ihre aufgesetzte Freundlichkeit oberflĂ€chlich und kĂŒhl, wie die Dekoration eines Frosted Cakes.

Einmal war mir beim DĂŒnsten der Reis angeschmort. Ich setzte den verkrusteten Inhalt unter Wasser und wollte den Topf wenig spĂ€ter sorgfĂ€ltig reinigen. Ich ließ ihn jedoch ĂŒber zwei Tage stehen, und am dritten Tag war er verschwunden. SpĂ€ter war mir Sarah bitterböse und hielt mir eine Predigt, weil sie ihren Topf entsorgen hatte mĂŒssen, und nun sollte ich ihr einen neuen kaufen!

Ich wollte mit meiner guten KĂŒche den Gaumen meines Freundes entzĂŒcken. Dahinter stand auch der Gedanke, mich unentbehrlich zu machen. Damit er eines Tages vielleicht doch „richtig“ mit mir zusammenleben wollte. Viele MĂ€nner ließen sich ja regelrecht von ihren Partnerinnen „bekochen“. Also wĂ€lzte ich das „Kochbuch der Studenten“ und den „Dagobert“ (eine steirische Rezeptesammlung), ich kaufte mir sogar ein Buch mit griechischen Rezepten. Im Kochen hatte ich einst die Note Drei erhalten. „Gerade noch“ hieß es vonseiten der Kochlehrerin damals, weil ich nicht in der Praxis glĂ€nzte, aber in der Theorie die Beste war. Ich legte mich also ordentlich ins Zeug, wollte dieses alte Image loswerden und beweisen, dass sehr wohl mehr in mir steckte. Dass ich fĂŒr mehr zu gebrauchen war als lediglich fĂŒrs Stochern in der Suppe. Haris mundeten meine Speisen sehr. Und als Dank ging er mit mir jeden Abend auf einen Cider in die „Taswell Arms“. Anfang Dezember feierte seine jĂŒngere Schwester Giota ihren Geburtstag. Sie studierte auch in England, in einer anderen, etwas nördlicher gelegenen Stadt. Sie war eine reizende Person, und ich erlebte dort bei so viel Neuem und herzlicher Gastfreundschaft eine unvergesslich intensive Zeit.

Ja, die erste Zeit mit Haris war schön. Wenn es zwischendurch nicht immer diese Reibereien gegeben hĂ€tte, weil es ihm aus irgendeinem Grund mal wieder „zu eng“ wurde. Bei all dem Eifer hatte ich nie daran gedacht, dass es ihm im Grunde ja an gar nichts fehlte. Seine Eltern finanzierten ihm sein komplettes Studium, samt Lebenserhaltungskosten und Miete (dasselbe galt auch fĂŒr die Schwester). Sie bezahlten ihnen alle Tickets fĂŒr die HeimflĂŒge in den Ferien. Und alle zwei Monate kam ein PĂ€ckchen aus Griechenland, mit Kuchen und anderen Köstlichkeiten aus Muttis Hand. Sein Leben verlief sehr easy und „nice“. Und ich war sein extra TĂŒpfelchen auf diesem i.

© Anatolie 2022-05-10

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