Geht’s noch skuriller?

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

Den Vogel schoss Gerti ab, die bei einem großen Diskontsupermarkt an der Kasse ihre Brötchen verdiente. Sie erzählte von den unzähligen Pizzaschachteln, deren gefrorener Inhalt von kreativen Langfingern gegen andere kostspielige Waren, wie etwa CDs, ausgetauscht worden war. Da die meisten Kunden große Mengen einkauften, die Ränder der Pizzaverpackungen mit Kleber wieder zugeklebt wurden und an der Kassa alles rucki zucki gehen musste, hatte man den Betrug erst entdeckt, nachdem die Gefriertruhen wieder neu bestückt werden sollten. Bei der Reinigung entdeckten die Angestellten zu ihrer Verwunderung an unterster Front etliche Pizzen, deren Kartons mit kostspieligeren Produkten zum Schleuderpreis von 1 Euro über die Theke gegangen waren …

In Gertis Laden trieb so manche diebische Elster ihr Unwesen. Einen graumelierten Mann, der bei jeder Witterung einen dicken Wintermantel trug, hatten sie schon länger im Visier. Eines Tages bemerkte eine von Gertis Kolleginnen, als er verstohlen um sich blickend Schokoriegel unter seinen Mantel stopfte. Auf frischer Tat ertappt, kamen mehr als zwanzig Riegel diverser Firmen zum Vorschein. Eigenartig war nur, dass der Wert der Waren im Einkaufswagen den geringen Wert der süßen Snacks erheblich überstieg. Schluchzend gestand der reuige Naschkater, dass er Diabetiker sei und seine Frau akribisch darauf achtete, dass er keine Süßigkeiten mit nach Hause brachte, indem sie vorsorglich die Kassenbons kontrollierte.

Gerti ist eine sehr empathische Frau, die keiner so leicht ins Bockshorn jagen kann. Sie vermochte sogar einen Drogensüchtigen, der ihr gegen Ladenschluss mit einer verseuchten Spritze drohte, weil er die Kasse plündern wollte, zur Aufgabe zu bewegen. Er verschwand ohne Beute und ward nie mehr gesehen.

Der skurrilste Diebstahl wurde jedoch von einer sehr betagten Frau begangen. Die zarte Kundin trug, so wie viele ältere Damen im Winter, einen warmen Filzhut. Die Warteschlange vor der Kasse, im Schlepptau die prall gefüllten Einkaufswagen, dehnte sich bis in den hinteren Bereich des Supermarktes aus. Nur langsam näherte sich die Kundin mit ihrem spärlichen Einkauf dem Kassenbereich. Doch plötzlich stürzte sie ohne Vorwarnung besinnungslos auf den harten, gefliesten Boden. Ihr Hut war ihr dabei vom Kopf gerutscht und Gerti, die wirklich schon viel Kurioses erblickt hatte, glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. Unter der hohen Kopfbedeckung lugten bleiche Hühnerkeulen hervor. Und weil das Brathendl gefroren war, hatte die Frau just ein Kälteschock in dem Moment ereilt, als sie dran gewesen wäre, ihre Waren aufs Förderband zu legen.

Eilig wurde die Rettung herbeitelefoniert, das gefrorene Huhn entsorgt und auf eine Anzeige der Mindestrentnerin verzichtet. Das unausweichliche Fazit aus der Geschichte: Gefrorenes auf dem Kopf macht den Kreislauf zunichte!

Eigenes Foto: Michela Ghisetti; “In whose watery vastness life began”

© Silvia Peiker 2022-03-31

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