Geister

Günter Zimmel

von Günter Zimmel

Story

Für diese Geschichte zur Information: Als Kind und als werdender Jugendlicher hatte ich panische Angst vor dem Übernatürlichen. Ich glaubte an Geister und Dämonen. Vor dunklen Mächten und vor dem Bösen hatte ich am meisten Angst. Und wenn ich sage „ Angst“, dann meine ich auch Angst! Richtige, wahrhaftige Angst.

Freundschaft dagegen? Das war nie so wirklich mein Ding. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass alleine vieles einfacher wird. Sogenannte Saufkumpane hab ich ganz sicher weit mehr, als für meine Gesundheit gut ist. Menschen, die sich verlaufen haben und deswegen glauben, mit mir gut Freund sein zu müssen, kenne ich auch mehr, als mir lieb ist. Aber Freunde? Ich glaube, es sind zwei. Also wenn mich heute jemand fragen würde? Ja: Zwei. Dazwischen gab es mal Jürgen. Von Jürgen habe ich schon erzählt. Jürgen fehlt mir. Ich mochte Jürgen. Damals. Aber heute, nüchtern betrachtet, waren wir einfach nur zwei Dummköpfe, die einander gegeben und voneinander genommen haben. Wir hatten viel Spaß und ich glaube, wir hatten auch einiges bewegt. Aber Freunde? …

Und davor kannte ich Manfred. Mit Manfred bin ich aufgewachsen. Manfred war einfach immer da. Auch, wenn er mal nicht da war. Der Typ und ich haben einige verrückte Geschichten unternommen. Total besoffen sein Mofa geschrottet. Von einer Baustelle Holz geklaut, damit er heizen konnte und über den Winter kam. Er ist auch zu mir gekommen, als er total am Ende war. Wir haben damals viel geredet. Trotzdem habe ich es nicht gehört…

Leider bin ich mir nicht mehr ganz sicher, aber ich meine, es war anno 1982. Wilde drei Tage Stuttgart lagen hinter mir. Ich musste damals als Zeuge bei einer Verhandlung aussagen. Ich kam zurück nach Hause und bog gleich in mein Stammlokal ab. Durst! Die gedrückte Stimmung habe ich damals nicht bemerkt. Wie schon angedeutet waren mir andere Menschen immer schon egal. Dieser Abend war einer der schlimmsten in meinem Leben. Niemand erklärte mir. Ich wurde einfach davon in Kenntnis gesetzt, dass Manfred sich selbst getötet hatte. Auch, wenn das niemand versteht, aber JETZT hab ich es gehört…

Das Begräbnis war für mich nichts. Eine angemessene Verabschiedung war da für mich nicht möglich. Deswegen bin ich trotz meiner Paranoia, was Geister anbelangte, zwei Tage nach der Beerdigung um vier Uhr früh zu Manfred auf den Friedhof. Im Gepäck zwei Flaschen Bier. Eine für mich, eine für ihn. Und Kippen. Ich hab mich an sein Grab gesetzt und erst mal bitterlich geweint. Ich hab den Deppen zur Sau gemacht, ihn beschimpft und gescholten, was das Zeug gehalten hat. Nach einer Zigarettenpause, die wir beide gebraucht haben, sprachen wir über Gott und die Welt. Über dies und das. Über uns und die Zukunft. Nach zwei viel zu kurzen Stunden habe ich Manfred verlassen. Seither glaube ich nicht mehr an das Böse. Seither habe ich keine Angst mehr vor Geistern. Sollte ich mal anfangen, über Geister zu sinnieren, denke ich an die letzte Nacht mit Manfred und mir. Und alles ist wieder gut…


© Günter Zimmel 2020-09-20