von Sonja M. Winkler
Seit der Schüttaktion der Klimaaktivisten darf man keine Handtasche mehr in die Ausstellungsräume des Leopoldmuseums mitnehmen. An der Garderobe wird mir ein Papiersackerl ausgehändigt mit einem Schiele-Motiv.
Ma, wos is denn des! Der Ausruf kommt von einer Frau, grauhaarig und untersetzt, die eben mit einer Bekannten den Saal betreten hat. Ma, is de oba schiach!, schießt sie lautstark nach, und als einige Besucher:innen den Kopf nach der Frau drehen, geht sie rasch weiter.
Das angeblich „schiache“ Objekt hat nun meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Auf der dunkel gebeizten Holzbank, die Adolf Loos zugeschrieben wird, räkelt sich eine lebensgroße, nackte Puppe. Zugegeben, sie ist nicht schön. Ihr Auftraggeber erschrak damals auch, als er ihrer ansichtig wurde, und vielleicht schrie er, mei, is de schiach! Dass er entsetzt war, das ist überliefert.
Die Puppenmacherin Hermine Moos hatte sich jedoch große Mühe gegeben und fast ein Jahr an diesem Werk gearbeitet, hatte der Puppe Scham- und Kopfhaar eingepflanzt und den Körper mit weichen, ausladenden Brüsten versehen. Die Körpermaße kannte sie, denn Oskar hatte sie ihr in einem Brief übermittelt, damit ja nichts schiefgeht.
Als er 1919 die Puppe in Empfang nahm, war er enttäuscht und beschwerte sich bei Hermine. Er nannte die Puppe einen „elenden Fetzenbalg“, an dem die französische Seidenunterwäsche, die er ihr anziehen wollte, nicht gut aussehe. Das und mehr ließ er Hermine brieflich wissen, auch, dass der Fetisch seinen erotischen Vorstellungen nicht genüge. Die arme Frau konnte doch nichts dafür, wenn sich das zottige Fell nicht wie die zarte Haut seiner Alma anfühlte, von der er nicht loskam.
Oskar hatte eine Stinkwut auf sie. Sie hatte ein Kind von ihm abgetrieben, mit ihm Schluss gemacht und 1915 überstürzt, wie er meinte, einfach den Gropius geheiratet – und nicht ihn. Aber er hatte die Puppe. Mal ließ er sie im Bett bei sich schlafen, mal sperrte er sie im Kleiderkasten ein. Es nahm ein schlimmes Ende mit ihr.
Eines Abends im Jahre 1920 veranstaltete Oskar ein Riesengelage, bei dem keiner der Gäste nüchtern blieb. Er selbst war sternhagelvoll. Er torkelte mit Alma im Arm in den Garten und schüttete eine Flasche Rotwein über sie. Im Hintergrund lief klassische Musik. Dann schlug er ihr den Kopf ab. Am nächsten Tag kamen Polizisten des Weges, sahen den leblosen Körper in einer Blutlache liegen und wollten Oskar als Haupt-Verdächtigen festnehmen.
Haupt-Sache. Enthauptet. Nach der Tat war er erleichtert.
Oskar Kokoschka malte wie verrückt und wurde 94 Jahre alt. Alma Mahler heiratete noch ein drittes Mal und hieß dann Werfel. Sie ging als Femme fatale in die Geschichte ein. Die arme Hermine Moos, deren Name in Vergessenheit geraten ist, nahm sich 40-jährig das Leben.
Allein Fotos bezeugen die Existenz ihrer Puppe. Jene im Leopoldmuseum ist ein Imitat.
© Sonja M. Winkler 2023-03-11