Geld stinkt nicht!

Ferdinand F. Planegger

von Ferdinand F. Planegger

Story

Es war November geworden. Ein Blick aus dem Fenster des Krankenzimmers zeigte mir, dass nach dem Ahornbaum jetzt auch die anderen Bäume im Park ihre Blätter verloren hatten. In der Dämmerung sahen sie aus schwarze Skelette aus. Ich lag seit Wochen hier, doch heute war ein besonderer Tag, denn erstens kam meine Mutter zu Besuch und zweitens durfte ich zum ersten Mal aufstehen.

„Hilfst du mir, Mama?“ – „Natürlich! Was soll ich tun?“ – „Nichts, nur da sein, falls ich umfalle.”

Ich hielt mich am Nachttisch fest, schwenkte meine Beine aus dem Bett und stand tatsächlich auf den Füßen. Es fühlte sich an, als hätte ich Gummibeine. Zittrig und wackelig, aber ich stand. Und schaffte eine Runde um mein Krankenbett. „Super“, sagte Mama und applaudierte. Nach einer kurzen Verschnaufpause fragte ich, was es draußen so an Neuigkeiten gäbe. Darauf hatte meine sonst so stille Mutter offenbar gewartet, denn plötzlich legte sie los. Sie warf den Kopf in den Nacken und wirkte plötzlich viel größer als sonst. Ihre Augen glänzten, dann platzte es aus ihr heraus: „Sieh mich an, Ferdinand, vor dir steht eine berufstätige Frau! Ich bin ab sofort bei der Stadtgemeinde fix angestellt!”

„Was? Das ist ja toll! Und wo? Ich meine: welche Abteilung?“ – „Du kennst ja das neue Gebäude am Hauptplatz, das wie eine Insel ausschaut. Dort ist mein Arbeitsplatz.“ – „Das ist doch das neue Reisebüro. Du arbeitest im Reisebüro?“ – „Nein, Ferdinand, mein Arbeitsbereich liegt ein Stockwerk tiefer. Ich bin ab sofort für die öffentliche Bedürfnisanstalt verantwortlich.“

Mein Gott, dachte ich, sie ist Klofrau geworden. Ich konnte nichts sagen. Meine Mutter schaute mich skeptisch an. Ich tat so, als suchte ich meine Tabletten. „Ferdinand, du freust dich ja gar nicht. Sag doch was.” – „Doch, Mama, natürlich freue ich mich. Es ist nur – äh, wie soll ich sagen, etwas überraschend.” – „Ich sehe es dir an, du schämst dich. Dazu kann ich nur sagen: Geld stinkt nicht! Ich verdiene eigenes Geld und brauche nicht mehr betteln gehen, wenn dein Vater wieder einmal alles versoffen hat.” – „Du hast ja recht, Mama”, sagte ich, „und es wäre eine gute Gelegenheit, dich von ihm scheiden zu lassen. Wir haben oft darüber gesprochen, immer war es daran gescheitert, dass du kein eigenes Geld verdient hattest. Das ist doch jetzt die Chance. Oder nicht? Wir suchen eine kleine Wohnung, du und ich, und lassen ihn zurück. Soll er sich doch zu Tode saufen.” – „Das ist nicht so einfach, Ferdinand, er ist mein Ehemann.“ – „Ja, aber er verhält sich nicht so. Und nicht wie ein Vater. Er schlägt uns, lässt uns hungern und stürzt uns in die Armut.” – „Ferdinand, das geht nicht. Nicht jetzt.” – „Warum denn nicht?” – „Weil er krank ist. Vielleicht hört er zu trinken auf, wenn er nicht mehr kann. Dann wird er mich brauchen. Ferdinand, bitte versteh mich.“

„Du musst es ja wissen, Mama”, sagte ich und dachte: Wieder ein Traum geplatzt. Ein Grund mehr, so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen, um meinen eigenen Weg zu gehen.

© Ferdinand F. Planegger 2020-06-11

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