Geliebte Chaos-Tochter

Brigitte Böck

von Brigitte Böck

Story

Meine große Tochter brachte in ihrer Pubertät eine enorme Unruhe ins Haus und forderte mich sehr. Ihre Begeisterungsfähigkeit, ihr soziales Verhalten, ihr naives Vertrauen in die Welt und ihre sprudelnde Kreativität führten oft zu Situationen, bei denen mir die Haare zu Berge standen. Meine Art, mit den Töchtern zu leben beruhte auf Vertrauen, Selbständigkeit, Freiheit, eigene Erfahrungen zu machen und da zu sein, wenn sie Hilfe brauchten und wollten. Vorleben, was für mich an Werten wichtig war. Konsequenz manchmal ja, aber Strafen niemals!

So kam sie im Sommer eines Abends nach Hause, übersprudelnd vor Verliebtheit: „Mama, ich bin heute meinem Traummann begegnet, er ist 6 Jahre älter als ich und kommt aus Frankfurt, er war nur zu Besuch in Berlin, morgen treffen wir uns nochmal, dann muss er zurück. Aber wir werden telefonieren und uns schreiben, er ist so süß.“ Ihre Augen strahlten und singend und tanzend verschwand sie in ihrem Zimmer.

Einige Tage später zeigte sie mir ein Flugticket nach Frankfurt: “ Mama, das hat er mir geschickt, ich soll ihn besuchen, am Freitag fliege ich zu ihm und komme am Sonntag zurück.“ Mir wurde ganz anders, aber es wäre ganz sinnlos gewesen, ihr das auszureden. Ich bat sie nur, mir seinen vollen Namen, Adresse und Tel.Nr. zu hinterlassen und am Freitag fuhr sie allein mit einer kleinen Tasche zum Flughafen. Sie war seit 2 Monaten mit 18 Jahren volljährig.

Sonntag mittag bekam ich einen aufgeregten Anruf von ihr, sie heulte und ich konnte sie kaum verstehen. “ Stell dir vor, er hat eine Tankstelle und gestern Abend seine Freunde zu einem Fest eingeladen. Viele kamen mit dem Motorrad, sie haben viel getrunken und er hat allen erzählt, dass wir heiraten werden. Lauter widerliche Männer und sie machten so schlimme Nazi-Sprüche und gröhlten solche Lieder. Ein körperbehinderter Mann war dabei, aber den haben sie ausgelacht und nach Hause geschickt. Ich war wütend und wollte das Geld für das Rückflugticket, aber er lachte mich aus, da habe ich heimlich meine Tasche geholt und bin abgehauen. Ich bin jetzt an einem Rasthof und komme per Anhalter nach Hause, du, mein Geld ist alle, wir werden gleich unterbrochen…..“

Handys gab es noch nicht, ich saß da wie gelähmt, hatte furchtbare Ängste und versuchte, alle Schutzengel für sie einzuspannen. Der Tag verging wie in Zeitlupe, ich starrte ständig auf die Uhr, meine jüngere Tochter versuchte, mich abzulenken und mich zu beruhigen. „Keine Sorge Mama, meine Schwester schafft das!“

Kurz nach 23 Uhr schloss es an der Tür, ein heulendes Kind fiel mir in die Arme, meine Jüngste kochte uns Tee und machte was zu essen, was meine Große hungrig verschlang. Sie erzählte und ließ ihren Gefühlen freien Lauf: “ Mama, danke, dass du zu Hause auf mich gewartet hast und danke, dass du nicht schimpfst. Du hast doch ein großes Bett, darf ich heute mit meiner Schester bei dir schlafen?“

Ich nahm Beide in die Arme, war dankbar und glücklich und spürte, wie sehr ich diese Kinder liebte.

© Brigitte Böck 2020-06-29